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Das organisierte Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nach dem FAGG

(Bild: © William_Potter) (Bild: © William_Potter)

Nach Ansicht des OGH ist für das Vorliegen eines Fernabsatzvertrages und somit auch für das Bestehen des Rücktrittsrechts eines Verbrauchers nur entscheidend, dass ein organisierten Verbtriebs- oder Dienstleistungssystems hinsichtlich des Vertragsabschlusses vorliegt. Dafür irrelevant ist jedoch die Form der Erfüllung des Vertrages, also etwa ob die Ware geliefert oder selbst abgeholt wird.

Verbraucher können gemäß § 11 Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz (FAGG) grundsätzlich ohne Angabe von Gründen binnen 14 Tagen von im Fernabsatz geschlossenen Verträgen zurücktreten. Nach der Legaldefinition des § 3 Z 2 FAGG bezeichnet der Ausdruck „Fernabsatzvertrag“ dabei jeden Vertrag, der zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Verbtriebs- oder Dienstleistungssystems geschlossen wird; wobei bis einschließlich des Zustandekommens des Vertrages ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet werden. Die Frage, wann ein solches „für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem“ vorliegt, hat in den vergangenen Jahren bereits mehrfach die Gerichte beschäftigt.

Klar ist, dass der Unternehmer seinen Vertrieb organisatorisch (zumindest auch) auf einen regelmäßigen Absatz per Distanzgeschäft (Fernabsatz) ausgerichtet haben muss, wofür auch ein von ihm selbst eingerichtetes derartiges System ausreichen kann. Dies liegt unter anderem bei Websites mit Bestellmöglichkeit, Onlineshops, telefonischen oder sonst automatisierten Bestellmöglichkeiten und Warenrücknahmen, Callcenter, Warenkatalogen mit Bestellkarten und Teleshopping vor. Dabei genügt es, wenn der Vertrieb zumindest zum Teil im Fernabsatz erfolgen kann (Dehn in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 3 FAGG Rz 12).

Nach dem ErwG 20 der Verbraucherrechte-Richtlinie, welche im FAGG umgesetzt ist, soll die Begriffsbestimmung von Fernabsatzverträgen alle Fälle erfassen, in denen ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher „im Rahmen eines für die Lieferung im Fernvertrieb organisierten Verkaufs- oder Dienstleistungserbringungssystems geschlossen wird“. Darauf aufbauend stellt sich die Frage, ob die Richtlinie daher Sachverhalte nicht erfasst, bei denen zwar hinsichtlich des Vertragsabschlusses, aber nicht hinsichtlich der Lieferung ein organisierten System vorliegt und ob deshalb nicht auch das FAGG richtlinienkonform interpretiert dann nicht zur Anwendung gelangt.

Diesem Ansatz folgend hat das deutsche Landgericht Osnabrück in seiner Entscheidung vom 16.9.2019 (2 O 683/19) zur Auslegung des § 312c BGB, welcher wie § 3 Z 2 FAGG hinsichtlich des organsierten Vertriebs- bzw Dienstleistungssystems nicht auf die Lieferung abstellt, ausgesprochen, dass ein „für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem“ auch ein organisiertes Versandsystem voraussetzt.

Auch der OGH hatte sich in einer rezenten Entscheidung mit dieser Frage auseinanderzusetzen (6 Ob 36/20t). Anlassfall war der zwischen einem Verbraucher und einer Kfz-Händlerin geschlossene Kaufvertrag über einen Gebrauchtwagen. Der Verbraucher und spätere Kläger hat auf der Website der Verkäuferin und späteren Beklagten einen Gebrauchtwagen entdeckt. Diese Website ist so gestaltet, dass es eine eigene Rubrik für „Gebrauchtwagen“ gibt, wobei unter den jeweiligen Inseraten Telefonnummern, eine Faxnummer und die E-Mail-Adresse der Beklagten angegeben sind. Neben dieser Rubrik auf der eigenen Website sind auch auf anderen auf den Autoverkauf spezialisierten Internetseiten Inseratrubriken der Beklagten platziert; auch dort sind bereits Preis und Fahrzeugbeschreibung der jeweiligen Pkw ersichtlich. Ein Onkel des Klägers, der sich gut mit Autos auskennt, telefonierte mit einem Verkäufer der Beklagten, um nachzufragen, ob der Gebrauchtwagen noch zu haben sei, wobei in diesem Gespräch auch kurz über die Finanzierung geredet wurde, weshalb in weiterer Folge der Kläger eine Kopie seines Reisepasses und eines Lohnzettels an die Beklagte übersandte. Die weitere Korrespondenzen zwischen dem Kläger und dem Verkäufer erfolgten per Telefon und E-Mail. Da laut Mitteilung des Verkäufers der Gebrauchtwagen sehr gefragt war, fragte der Kläger an, ob eine Reservierung möglich wäre. Dies verneinte der Verkäufer, schlug dem Kläger aber vor, diesem einen unterzeichneten Kaufvertrag per E-Mail zu übersenden, den der Kläger dann ebenso per E-Mail wieder retournieren sollte. Der Verkäufer gab in diesem Zusammenhang an, dass dann ein Rücktritt vom Kaufvertrag nicht mehr möglich sein würde, weil der Gebrauchtwagen so gefragt sei; der Wagen würde dann aber auch dem Kläger gehören.

Die Streitteile einigten sich auf Barzahlung und Übergabe des Gebrauchtwagens am 7.5.2018 am Firmensitz der Beklagten, die daraufhin dem Kläger am 30.4.2018 den ihrerseits bereits unterfertigten Kaufvertrag übersandte. Diesen Vertrag unterschieb der Kläger noch am selben Tag (bei sich zu Hause) und retourniete ihn per E-Mail an die Beklagte. Bis zum Abschluss des Kaufvertrages hatten die Streitteile ausschließlich über Telefon und E-Mail kommuniziert.

Am 2.4.2019 erklärte der Kläger seinen Rücktritt vom Kaufvertrag, wobei er sich dabei auch auf die verlängerte Rücktrittsfrist gemäß § 12 FAGG stützte. Nach § 12 FAGG verlängert sich die Rücktrittsfrist von grundsätzlich 14 Tagen um zwölf Monate, wenn der Unternehmer seinen Informationspflichten über das Rücktrittsrecht nicht nachgekommen ist.

In seiner Entscheidung folgt der OGH der oben angeführten Ansicht des Landgerichts Osnabrück nicht, sondern stellte klar, dass es keine Rolle spielt, ob die Kommunikation nach dem Vertragsabschluss oder die Erfüllung des Vertrages ebenfalls in Distanz oder – wie oft bei er Lieferung der Ware durch den Unternehmer oder Selbstabholung durch den Verbraucher – unter persönlichem Kontakt der Vertragsparteien erfolgt. Dies, weil nach der gesetzgeberischen Vorstellung das Gefahrenpotential des Fernabsatzes (Entscheidung über physisch nicht zu begutachtende Ware, fehlende oder eingeschränkte Beratung) nach dem Vertragsabschluss nicht mehr gegeben ist.

Der OGH ging in seiner Entscheidung insbesondere auch auf den ErwG 20 der Verbraucherrechte-Richtlinie und dessen Abstellen auf ein „für die Lieferung“ im Fernvertrieb organisiertes Verkaufs- oder Dienstleistungserbringungssystem ein. Im Hinblick darauf, dass weder die englische noch die französische Sprachfassung der Richtlinie Bezug auf die „Lieferung“ nehmen, legte der OGH aufgrund der voneinander abweichenden sprachlichen Fassungen die Vorschrift anhand der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung aus. Demnach besteht der Schutzzweck der Verbraucherrechte-Richtlinie im Schutz der Verbraucher bei Vertragsabschluss im Fernabsatz. Insbesondere soll durch die in der Verbraucherrechte-Richtlinie statuierten Informationspflichten und das Widerrufsrecht das Informationsgefälle bei Vertragsabschluss ausgeglichen und dem Verbraucher eine Korrektur von Fehlentscheidungen aufgrund eines Überraschungsmoments oder aufgrund sonstiger „Verdünnungen“ seiner Willensfreiheit ermöglicht werden. Da nach österreichischem nationalem Recht die Lieferung der Vertragserfüllung zuzurechnen ist, ist davon auszugehen, dass es sich bei der Anführung der „Lieferung“ in ErwG 20 um eine sprachliche Unschärfe handelt, da doch das typische Gefahrenpotential des Fernabsatzes nach Vertragsabschluss typischerweise nicht mehr gegeben ist. Dehn folgend sagt der OGH, dass es nicht darauf ankommt, wie der Vertrag erfüllt wird, weshalb im Umkehrschluss die Lieferung auch kein Tatbestandsmerkmal für den Fernabsatzvertrag sein kann. Zudem findet sich die Bezugnahme auf die „Lieferung“ nur im ErwG 20 und nicht in der Legaldefinition des Fernabsatzvertrags in Art 2 Z 7 der Verbraucherrechte-Richtlinie.

Im Ergebnis ist daher nach dem OGH für das Vorliegen eines Fernabsatzvertrages und somit auch für das Bestehen des Rücktrittsrechts des Verbrauchers nur entscheidend, dass ein organisierten Verbtriebs- oder Dienstleistungssystems hinsichtlich des Vertragsabschlusses vorliegt. Da dies im gegenständlichen Fall gegeben war, war die Aussage des Verkäufers, dass kein Rücktrittsrecht besteht, unrichtig und die Beklagte ist somit ihren Informationspflichten nicht nachgekommen. Der Kläger konnte daher auch noch nach mehr als 14 Tagen vom Kaufvertrag zurücktreten. Ob im Hinblick auf den Widerspruch zur Entscheidung des Landgerichts Osnabrück die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH zur Klärung der Frage, ob nach der Verbraucherrechte-Richtlinie auch das Versandsystem organisiert sein muss, nicht ratsam gewesen wäre, bleibt dahingestellt.

Zum Autor:

Mag. Nils Gröschel ist Rechtsanwaltsanwärter bei Preslmayr Rechtsanwälte.