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COVID-19 SWK Verfahren Verfahrens- und Organisations­recht

Ihr rechtssicherer Weg durch die Coronaviruskrise – Auswirkungen auf Verwaltungsverfahren

(Bild: © Feodora Chiosea) (Bild: © Feodora Chiosea)

Die Coronaviruskrise lässt keinen Stein auf dem anderen. Auch im Verwaltungsverfahren nicht. Betroffen sind von den neuen Gesetzen und Verordnungen vor allem Fristen. Es ist daher besondere Vorsicht geboten.

Aufgrund der Krise unterliegen Behörden, Unternehmen wie auch Private zahlreichen Beschränkungen rechtlicher wie faktischer Natur. Betretungsverbote, Schließungen, Social Distancing erschweren die sonst alltäglichen Abläufe. Insoweit ist es nur verständlich, dass der Gesetzgeber ein „Fristenmoratorium“ geschaffen hat und auch sonst jegliche Verfahrenshandlung, die die Anwesenheit mehrerer erfordert, auf Eis gelegt hat. Dies bringt natürlich Vor- aber auch Nachteile mit sich, wenn man zB als Konsenswerber dringend auf den Eintritt der Rechtskraft einer Genehmigung wartet.

Die einschlägigen Regelungen für Verwaltungsverfahren befinden sich im Verwaltungsrechtlichen COVID-19-Begleitgesetz, BGBl I 16/2020 idF BGBl I 24/2020 (COVID-19-VwBG). Dieses ist mit 22. März 2020 in Kraft getreten und tritt mit 31. Dezember2020 (vorbehaltlich einer weiteren Gesetzesänderung) außer Kraft. Dazu im Detail:

  1. Unterbrechung von Fristen
  2. Seit 22. März 2020 werden alle Fristen in Verfahren der Verwaltungsbehörden, auf die das AVG, VStG oder VVG anzuwenden ist, unterbrochen. Die Unterbrechung erfolgt (derzeit) bis zum Ablauf des 30. April 2020. Konkret betrifft das solche Fristen,
  • deren fristenauslösendes Ereignis in die Zeit nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes fällt (22. März 2020) und
  • die bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes noch nicht abgelaufen sind.

Betroffen von der Unterbrechung sind nur verfahrensrechtliche Fristen.1 Die Unterbrechung gilt daher vor allem für Rechtsmittelfristen, Fristen für Verbesserungsaufträge gemäß § 13 AVG, für die Quasi-Wiedereinsetzung gemäß § 42 Abs 3 AVG, für die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs 2 AVG, für die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 71 Abs 2 AVG.

  1. Laut Gesetz beginnen sie nach der Unterbrechung neu zu laufen (was schon aufgrund der Anordnung der „Unterbrechung“ klar ist). Mit BGBl I Nr 24/2020 wurde auch nochmals ausdrücklich klargestellt, ab wann diese neu zu laufen beginnen:
  • Bei der Berechnung von Fristen, die nach Tagen bestimmt sind, gilt der 1. Mai 2020 als Tag, auf den Zeitpunkt oder das Ereignis fällt, wonach sich der Anfang der Frist richten soll. Der 01. Mai 2020 wird also nicht mitgerechnet.
  • Bei der Berechnung von Fristen, die nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmt sind, gilt der 1. Mai 2020 als Tag, an dem die Frist beginnt.

Beispiel: Beginnt eine vierwöchige Beschwerdefrist am 13. März 2020, würde der Ablauf nach dem 22. März 2020 liegen. Die Frist wäre daher zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes noch nicht abgelaufen. Die vierwöchige Rechtsmittelfrist würde daher mit 01. Mai 2020 neu zu laufen beginnen.

  1. Abweichend von dieser generellen Fristunterbrechung kann die Behörde aussprechen, dass eine Frist nicht für die gesetzlich festgelegte Dauer unterbrochen wird. In diesem Fall hat sie jedoch gleichzeitig eine neue angemessene Frist festzusetzen. Dies soll jedoch nur möglich sein, wenn nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände die Fortsetzung des Verfahrens
  • zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit oder
  • zur Abwehr eines erheblichen und unwiederbringlichen Schadens einer Partei dringend geboten ist und
  • nicht das Interesse der Allgemeinheit an der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 sowie der Schutz der Aufrechterhaltung eines geordneten Verwaltungsbetriebes die Einzelinteressen überwiegen.

In der Praxis wurde davon bisher kaum Gebrauch gemacht. Dies wohl insbesondere aufgrund der damit verbundenen Rechtsunsicherheiten. Insbesondere stellt sich die Frage nach der Rechtsqualität einer solchen Neufestsetzung. Gedacht war wohl, dies als reine Verfahrensanordnung anzulegen; ausdrücklich normiert ist dies jedoch nicht. Würde die Neufestsetzung einen Bescheid darstellen, wäre dieser wiederum bekämpfbar und würde die Bestimmung ad absurdum führen: Die Bekämpfung wird nämlich in der Regel länger dauern, als die Frist mit Unterbrechung.

  1. Zu beachten ist, dass die Unterbrechung laut Gesetz zwar bis 30. April 2020 erfolgt. Allerdings sieht das Gesetz eine Verordnungsermächtigung für den Bundeskanzler vor, wonach er Fristen verlängern, verkürzen oder weitere allgemeine Ausnahmen von der Unterbrechung vorsehen kann, soweit dies zur Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.2 Insoweit ist hier erhöhte Vorsicht geboten. In § 5 Satz 2 COVID-19-VwBG räumt der Gesetzgeber dem Bundeskanzler zusätzlich die Ermächtigung ein, weitere Regelungen für den Lauf von Fristen und die Einhaltung von Terminen für anhängige oder noch anhängig zu machende Verfahren vorzusehen.
  2. Diese Regelungen gelten naturgemäß nicht für Fristen in Verfahren nach dem Epidemiegesetz. Ausdrücklich ausgenommen sind zudem Fristen nach § 80 Abs 6 Fremdenpolzeigesetz; das betrifft die amtswegige Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft. Weiters ausgenommen sind Fristen gemäß § 22a Abs 2 und 4 BFA-Verfahrensgesetz betreffend den Rechtsschutz bei Schubhaft.
  3. Hemmung von Fristen
  4. Für bestimmte Fristen ist keine Unterbrechung, sondern eine bloße Hemmung vorgesehen. So ist die Zeit vom 22. März 2020 bis zum Ablauf des 30. April 2020 nicht einzurechnen
  • in die Zeit, in der ein verfahrenseinleitender Antrag (§ 13 Abs 8 AVG) zu stellen ist,
  • in Entscheidungsfristen mit Ausnahme von verfassungsgesetzlich festgelegten Höchstfristen und
  • in Verjährungsfristen.

In diesem Fällen erscheint eine Unterbrechung nicht sachgerecht.3

  1. Verfahrenseinleitende Anträge können grundsätzlich jederzeit gestellt werden. Bestimmte Materiengesetze sehen jedoch zB vor, dass verfahrenseinleitende Anträge bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gestellt werden müssen.

So muss zB gemäß § 21 WRG ein Antrag auf Wiederverleihung eines Wasserbenutzungsrechtes frühestens fünf Jahre, spätestens sechs Monate vor Ablauf der Bewilligungsdauer gestellt werden. Läuft die Bewilligung am 15. Oktober 2020 aus, müsste der Antrag auf Wiederverleihung spätestens am 15. April 2020 bei der Behörde eingelangt sein. Da dieser Zeitraum jedoch in den gesetzlich vorgesehenen Fristenhemmungszeitraum fällt, wäre die Antragsfrist um diesen Zeitraum zu verlängern.

  1. Auch Entscheidungsfristen sind wie oben ausgeführt gehemmt. An der Grundregel, wonach die Behörden grundsätzlich unverzüglich – also ohne unnötigen Aufschub – zu entscheiden haben, ändert sich jedoch nichts.4 Es gilt zudem aber noch folgende Besonderheit: Beträgt die Entscheidungsfrist bei Inkrafttreten des Gesetzes weniger als sechs Wochen, verlängert sie sich nur um das noch jeweils „ausständige“ Ausmaß der Entscheidungsfrist. Beträgt die Entscheidungsfrist mindestens sechs Wochen, verlängert sie sich stets um sechs Wochen.5 Dies soll die Berechnung der Hemmung erleichtern. Die automatische Verlängerung wird jedoch nur dann gelten können, wenn nicht der Bundeskanzler von seiner Verordnungsermächtigung Gebrauch macht und die Entscheidungsfristen verkürzt und verlängert.6

Beispiel: Eine am 15. Jänner beginnende sechsmonatige Entscheidungsfrist endet eigentlich am 15. Juli. Da die Entscheidungsfrist bei Inkrafttreten des Gesetzes am 22. März noch mehr als sechs Wochen betrug, verlängert sie sich nunmehr automatisch um sechs Wochen. Das bedeutet, dass die Entscheidungsfrist ab 22. März 2020 ausgesetzt wird und ab 01. Mai 2020 weiterläuft. Zusätzlich verlängert sich die Entscheidungsfrist um weitere sechs Wochen. Sie endet daher nicht mehr am 15. Juli, sondern erst sechs Wochen danach.

Würde eine sechswöchige Entscheidungsfrist hingegen am 13. April enden, so ist deren Ablauf ebenfalls bis 01. Mai 2020 gehemmt. Von da an läuft die verbleibende Frist weiter.

  1. Weiters sieht das Gesetz die Hemmung von Fristen bei Anonymverfügungen und Organstrafverfügungen vor:7
  • Bei in der Zeit vom 22. März bis zum Ablauf des 30. April 2020 ausgefertigten Anonymverfügungen, beträgt die Frist zur Zahlung generell sechs (anstatt vier) Wochen.
  • Bei in der Zeit vom 22. März bis zum Ablauf des 30. April 2020 am Tatort hinterlassenen oder dem Beanstandeten übergebenen Organstrafverfügungen gemäß § 50 VStG gilt eine generelle Zahlungsfrist von vier Wochen. Ansonsten beträgt die Frist zwei Wochen.
  1. Auch bei der Fristenhemmung besteht eine Verordnungsermächtigung für den Bundeskanzler, wonach er Fristen verlängern oder auch verkürzen kann.8 Insoweit empfiehlt es sich, in der Praxis auf allfällige Änderungen Acht zu geben.
  2. Sinngemäße Anwendung der Bestimmungen über die Fristenunterbrechung und Fristenhemmung in den Verfahren vor den Verwaltungsgerichten

Die Bestimmungen über die Fristenunterbrechung und Fristenhemmung gelten sinngemäß auch für Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, wenn auf das jeweilige Verfahren zumindest auch das AVG anzuwenden ist. Auch in Verfahren vor demVerwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof sind die Bestimmungen sinngemäß anzuwenden.9 Demnach sind zB auch Revisionsfristen unterbrochen und beginnen mit 01. Mai wieder neu zu laufen.

  1. Mündliche Verhandlungen, Vernehmungen, Parteienverkehr
  2. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 sind derzeit mündliche Verhandlungen, Vernehmungen (mit Ausnahme von audiovisuellen Vernehmungen) und dergleichen nur durchzuführen, soweit dies zur Aufrechterhaltung einer geordneten Verwaltungsrechtspflege unbedingt erforderlich ist.10 Dies gilt auch für vergleichbarere Verfahrenshandlungen der Behörden, wie zB die öffentliche Erörterung im Großverfahren oder die formlose mündliche Befragung einer Auskunftsperson, den mündlichen Verkehr zwischen den Behörden und den Beteiligten einschließlich der Entgegennahme mündlicher Anbringen.

Konkret ist von solchen Handlungen abzusehen, wenn aufgrund von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 getroffen werden, die Bewegungsfreiheit oder der zwischenmenschliche Kontakt eingeschränkt ist. Solange daher die Verordnungen hinsichtlich des Betretungsverbots öffentlicher Orte11 (teilweise) aufrecht ist, werden wohl auch mündliche Verhandlungen usw nur im Ausnahmefall durchgeführt werden können. Ob dies auch hinsichtlich der Verordnung hinsichtlich der Betriebsstätten des Handels, von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben12 der Fall ist, bleibt fraglich.

Dieser Stillstand ist natürlich wenig erfreulich für Konsenswerber. Wann konkret nämlich ein Fall zur Aufrechterhaltung einer geordneten Verwaltungsrechtspflege vorliegt, ist nicht klar definiert und bedarf einer Klärung im Einzelfall.

Überdies kann aber eine Vernehmung oder mündlichen Verhandlung noch durchgeführt werden, wenn dies unbedingt erforderlich ist. Auch hier bedarf es einer Interpretation im Einzelfalls, was unbedingt erforderlich ist. Liegt eine solche Erforderlichkeit vor, ist die Vernehmung bzw Verhandlung allerdings in Abwesenheit aller anderen Beteiligten unter Verwendung geeigneter technischer Kommunikationsmittel vorzunehmen. Ob „in Abwesenheit aller anderen Beteiligten“ bedeutet, dass nur die Parteien oder auch diese nicht beizuziehen sind, ist nicht klar.Können auf diesem Wege nicht alle Parteien beigezogen werden, so wird jedenfalls auf ein hinreichendes Parteiengehör zu achten sein.

Tipp: Sollte Sie eine noch aufrechte Ladung zu einer Verhandlung haben, informieren Sie sich im Vorfeld bei der Behörde, ob diese stattfindet. Ist eine Verhandlung aus Ihrer Sicht dringend notwendig, regen Sie bei der Behörde die Durchführung unter Zuhilfenahme von technischen Hilfsmitte an.

  1. Unterbrechung von Verfahren wegen Stillstand

Hört infolge des Auftretens und der Verbreitung von COVID-19 die Tätigkeit einer Behörde zur Gänze auf, so hat dies die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde bekanntzumachen.13 Die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde hat auf Antrag eines Beteiligten eine andere sachlich zuständige Behörde desselben Landes zur Entscheidung der Sache zu bestimmen, wenn während der Unterbrechung Verfahrenshandlungen vorzunehmen sind, die zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit oder Abwehr eines erheblichen und unwiederbringlichen Schadens eines Beteiligten dringend geboten sind.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht, insbesondere im Hinblick auf das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, ist diese Bestimmung – selbst in Krisenfällen – zu hinterfragen. Die Anwendung wird jedenfalls auf außergewöhnliche Gefahrensituationen beschränkt bleiben müssen.

  1. Weitreichende Verordnungsermächtigung für den Bundeskanzler

Wie bereits oben mehrfach erwähnt, wurde dem Bundeskanzler eine weitreichende Verordnungsermächtigung eingeräumt. So kann er zusätzlich

  • die Unterbrechung, die Hemmung, die Verlängerung oder die Verkürzung von Fristen anordnen,
  • Säumnisfolgen bei Nichteinhaltung von Terminen ausschließen sowie
  • bestimmen, ob und auf welche Weise verfahrensrechtliche Rechtsnachteile, die durch die Versäumung von Fristen oder Terminen eintreten können, hintangehalten und bereits eingetretene wieder beseitigt werden.

Dabei sind wiederum die Interessen an der Fortsetzung dieser Verfahren, insbesondere der Schutz vor Gefahren für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit der Verfahrensparteien oder die Abwehr eines erheblichen und unwiederbringlichen Schadens von diesen, einerseits und das Interesse der Allgemeinheit an der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 sowie am Schutz der Aufrechterhaltung eines geordneten Verwaltungsbetriebes andererseits gegeneinander abzuwägen.

Ob der Bundeskanzler davon Gebrauch machen wird, bleibt abzuwarten. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist eine derart weite Ermächtigung jedenfalls bedenklich und bringt für den Normunterworfenen große Rechtsunsicherheit.

Sie sind möglicherweise in einem anhängigen Verfahren betroffen? Dann informieren Sie sich regelmäßig über die Änderungen auf lindemedia.at und unserer Homepage www.ehlaw.at.

Zur Autorin:

Dr. Tatjana Katalan-Dworak ist Rechtsanwältin für Verwaltung- und Umweltrecht und Partnerin der Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH mit Sitz in Wien, Graz und Klagenfurt. Die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit liegen in der rechtlichen Beratung und Begleitung von (Groß-)Projekten. Sie erreichen die Autorin unter t.dworak@ehlaw.at



Fußnoten

1 Siehe dazu schon den Verweis auf § 32 AVG.

2 § 5 COVID-19-VwBG.

3 BlgNr 403/A, XXVII. GP.

4 Vgl § 73 AVG.

5 § 2 Abs 1 letzter Satz COVID-19-VwBG.

6 Siehe Punkt 5 und 12.

7 § 2 Abs 2 COVID-19-VwBG.

8 Siehe wiederum § 5 COVID-19-VwBG.

9 Siehe § 6 COVID-19-VwBG.

10 § 3 COVID-19-VwBG.

11 BGBl II 98/2020 idF BGBl II 148/2020.

12 BGBl II 96/2020 idF BGBl II 151/2020.

13 § 4 COVID-19-VwBG.