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VfGH entschied in jüngsten Beratungen über 450 Fälle

(Bild: ©VfGH/Achim Bieniek) (Bild: ©VfGH/Achim Bieniek)

Quelle: Pressemitteilung des VfGH vom 16. 3. 2021.

Der VfGH hat in seiner vergangene Woche beendeten Session an die 450 Entscheidungen getroffen. Darunter sind auch zahlreiche Entscheidungen über Anträge zu COVID-19-Regelungen. Seit Beginn der Pandemie werden laufend solche Fälle beim VfGH eingebracht, die vom VfGH auch laufend bearbeitet werden; insgesamt sind es bisher 252. In 147 davon sind bereits Entscheidungen ergangen.

Die Entscheidungen werden nach und nach ausgefertigt und den Verfahrensparteien zugestellt. Erst nachdem eine Entscheidung zugestellt ist, kann der VfGH darüber Auskunft geben.

Impfpflicht: VfGH weist Antrag zum Epidemiegesetz 1950 zurück 

Das EpiG ermächtigt die Bezirks­verwaltungsbehörden, unter näher geregelten Voraussetzungen „im Einzelfall für bestimmte gefährdete Personen die Durchführung von Schutzimpfungen […] anzuordnen“

Dagegen richtete sich der Antrag einer Frau, die Impfungen kritisch gegenübersteht. Sie sieht in der angefochtenen Bestimmung einen Verstoß gegen mehrere Grundrechte, so etwa gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens und darauf, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden. 

Die unmittelbare Anfechtung eines Gesetzes durch eine Einzelperson (Individualantrag) setzt jedoch voraus, dass die angefochtene Bestimmung für die antragstellende Partei unmittelbar wirksam geworden ist. Dies ist hier nicht der Fall: Die Anordnung der Durchführung einer Schutzimpfung kann nämlich nach § 17 Abs 4 EpiG ausdrücklich nur „im Einzelfall“, also durch Bescheid, erfolgen. Eine Impfpflicht für die Allgemeinheit oder für einen nach Gattungsmerkmalen umschriebenen Personenkreis kann auf diese Bestimmung nicht gestützt werden. Die Antragstellerin hat auch nicht behauptet, zu einem Kreis gefährdeter Personen zu gehören. 

(G 362/2020)

Entschädigung bei Zivildienst wegen COVID-19: VfGH prüft Zuständigkeit des Heerespersonalamtes 

Aus Anlass mehrerer Beschwerden hat der VfGH von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Bestimmung des Zivildienstgesetzes 1986 (ZDG) eingeleitet. An den VfGH gewandt hatten sich mehrere Zivildiener, die bis März 2020 den ordentlichen Zivildienst leisteten. Mit Bescheiden der Zivildienstserviceagentur wurden sie vor dem Ende ihres Dienstes verpflichtet, im Anschluss an den ordentlichen noch bis 30. 6. 2020 außerordentlichen Zivildienst zu leisten; diese Maßnahme sei im Hinblick auf die Folgen von COVID-19, insbesondere im Gesundheits- und Pflegebereich, erforderlich. 

Gleichzeitig mit der Verlängerung der Dienstpflicht aktuell eingesetzter Zivildiener erfolgte ein Aufruf an alle ehemaligen Zivildiener, sich freiwillig zum außerordentlichen Zivildienst zu verpflichten. 

Für die Zeit des außerordentlichen Zivildienstes gebührte allen Verpflichteten eine Grundvergütung samt einem Zuschlag. Darüber hinaus erhielten die Zivildiener, die sich freiwillig zur Verrichtung des außerordentlichen Zivildienstes verpflichtet hatten, eine Pauschalentschädigung bzw eine Vergütung des Verdienstentgangs. Die Beschwerdeführer beantragten daher beim Heerespersonalamt für die Monate, in denen sie außerordentlichen Zivildienst leisteten, ebenfalls die Gewährung einer Pauschalentschädigung bzw den Ersatz des Verdienstentganges. Mit Bescheiden des  Heerespersonalamtes wurden diese Anträge jedoch abgewiesen. Auch die dagegen beim Bundesverwaltungsgericht erhobenen Beschwerden blieben erfolglos. 

Nun hat der VfGH ein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet: Er hält es vorläufig für verfassungswidrig, dass zur Entscheidung über finanzielle Ansprüche der Zivildiener das Heerespersonalamt zuständig ist. Dies scheint – so die vorläufige Annahme des VfGH – gegen die Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 5 ZDG zu verstoßen, wonach der Zivildienst außerhalb des Bundesheeres zu leisten ist. In dieser Bestimmung dürfte nämlich auch das Verbot liegen, mit der Vollziehung von Angelegenheiten des Zivildienstes den für militärische Angelegenheiten zuständigen Bundesminister oder eine ihm in organisatorischer Hinsicht unterstellte Behörde wie das Heerespersonalamt zu betrauen. 

Um diese Frage zu klären, wird ein Vorverfahren eingeleitet, in dem ua die Bundesregierung eine Stellungnahme abgeben kann.

(E 3310/2020 ua)  

Bezugsfortzahlung an ehemalige Abgeordnete: Auskunftsverweigerung verletzte Grundrecht auf Zugang zu Informationen 

Im Juli 2019 ersuchte der ORF-Journalist Martin Thür die Parlamentsdirektion um Auskunft darüber, welche Abgeordneten in den Jahren 2017 bis 2019 die Gehaltsfortzahlung nach Beendigung ihres Amtes in Anspruch genommen haben und für wie lange. 

Der Präsident des Nationalrates wies diesen Antrag mit Bescheid unter Hinweis auf das Recht auf Datenschutz der betroffenen Personen ab. Mitgeteilt wurde lediglich die Information, wie viele Bezugs­fortzahlungen im betreffenden Zeitraum pro Jahr gewährt wurden und wie hoch die Gesamtausgaben dafür jeweils waren. 

Dagegen erhob Thür Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), das jedoch ebenfalls fand, dass das private Geheimhaltungsinteresse der ehemaligen Abgeordneten das durch Art 10 EMRK grundrechtlich geschützte Auskunftsinteresse des Journalisten überwiege. 

Thür machte mit seiner Beschwerde vor dem VfGH geltend, dass ihn die Entscheidung des BVwG im Grundrecht auf Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit verletze. Die erfolgte Auskunftsverweigerung sei nämlich „in einer demokratischen Gesellschaft nicht erforderlich“ und damit unverhältnismäßig. 

Der VfGH hat der Beschwerde stattgegeben. Art 10 Abs 1 EMRK begründet zwar keine allgemeine Verpflichtung des Staates, Zugang zu Informationen zu gewähren. Ein Recht auf Zugang zu Informationen kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall bestehen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Das Auskunftsbegehren wurde zum einen im Rahmen journalistischer Recherchen zu einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse gestellt; solche Tätigkeiten genießen an sich den Schutz des Art 10 Abs 1 EMRK. 

Die Erteilung der gewünschten Auskunft stellt zwar einen Eingriff in das Grundrecht der betroffenen ehemaligen Abgeordneten auf Datenschutz dar. Bezugsfortzahlungen, so hält der VfGH fest, können jedoch nicht getrennt vom (ehemaligen) Nationalratsmandat betrachtet werden; so wie an den Bezügen der Mandatare besteht daher auch an solchen (höchstens dreimonatigen) Bezugsfortzahlungen ein gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit. Das Interesse der ehemaligen Abgeordneten an der Geheimhaltung der Information, ob und für wie lange sie eine Bezugsfortzahlung erhalten haben, tritt demgegenüber in den Hintergrund.

(E 4037/2020) 

Kuhmaske verstößt nicht gegen Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz, wenn damit Meinungsfreiheit ausgeübt wird 

Ein Tierschutzaktivist verteilte im Juni 2018 bei einer Veranstaltung zum Thema „Milch“ in Baden bei Wien Flugblätter; dabei trug er ein Kuhkostüm samt Kuhmaske, um auf sein Anliegen, die Bedingungen in der Milchproduktion, hinzuweisen. Weil er durch das Tragen des Kostüms samt Maske gegen das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz verstoßen habe, erhielt der Aktivist eine Geldstrafe und beschwerte sich deshalb beim VfGH. 

Der Beschwerdeführer behauptete, durch diese Bestrafung im Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit verletzt zu sein; auch stütze sich die Strafe auf ein verfassungswidriges Gesetz. Er stellte daher den Antrag, die im Instanzenzug ergangene Strafentscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (LVwG) aufzuheben. 

Der VfGH hat der Beschwerde stattgegeben und die angefochtene Entscheidung des LVwG aufgehoben. 

Nach dem Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz macht sich strafbar, wer seine Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände an öffentlichen Orten in einer Weise zu verhüllt oder verbirgt, dass sie nicht mehr erkennbar sind. Ein Verstoß gegen dieses Verbot liegt aber nicht vor, wenn die Verhüllung oder Verbergung der Gesichtszüge „durch Bundesgesetz oder Landesgesetz vorgesehen“ ist. 

Diese Ausnahme vom Verhüllungsverbot ist auch dann anwendbar, wenn die Gesichtszüge aus dem Grund verhüllt oder verborgen werden, um das Recht auf freie Meinungsäußerung auszuüben. In Ausübung dieses Grundrechts muss nämlich auch das Einsetzen von Stilmitteln (hier: einer Tiermaske) erlaubt sein.

(E 4697/2019) 

Amtswegige Prüfung zweier Erlässe zu Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerber 

Das beschwerdeführende Unternehmen, eine Spenglerei, stellte im September 2019 für einen Asylwerber aus Pakistan einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung. Diesen Antrag wies das AMS mit der Begründung ab, dass gemäß Erlass des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz vom 12. 9. 2018 Anträge auf Beschäftigungsbewilligung für Asylwerberinnen und Asylwerber abzulehnen sind, wenn der Regionalbeirat des AMS sie nicht einhellig befürwortet hat. Die gegen den Bescheid des AMS erhobene Beschwerde der Spenglerei wurde vom BVwG abgewiesen. 

In seiner Beschwerde an den VfGH wendet sich das Unternehmen im Wesentlichen gegen den Erlass aus dem Jahr 2018: Ein Ausschluss von Asylwerberinnen und Asylwerbern von der Ausübung eines Lehrberufes sei nämlich weder im Ausländer­beschäftigungsgesetz (AuslBG) noch im Unionsrecht vorgesehen. 

Aus Anlass dieser Beschwerde hat der VfGH beschlossen, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des Erlasses vom 12. 9. 2018 sowie des darin verwiesenen Erlasses vom 11. 5. 2004 einzuleiten. Der Erlass aus 2018 sieht – in Verbindung mit jenem aus dem Jahr 2004 –vor, dass Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerberinnen und Asylwerber nur bei befristeten Beschäftigungen als Saisonarbeiter oder Erntehelfer erteilt werden dürfen. Der Gerichtshof ist vorläufig der Ansicht, dass sich diese Erlässe nicht in einer bloßen Information über die geltende Rechtslage erschöpfen, sondern darüber hinaus verbindliche (einschränkende) Regelungen über die Erteilung von Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerberinnen und Asylwerber enthalten. Sollte sich diese Annahme bestätigen, wären diese Erlässe aber als Verordnungen im Bundesgesetzblatt kundzumachen gewesen. Um diese Frage zu klären, wird ein Vorverfahren eingeleitet, in dem ua der Bundesminister für Arbeit eine Stellungnahme abgeben kann. 

(E 2420/2020)

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