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Die Abschaffung der kalten Progression

(Bild: © iStock/jittawit.21 )

Zur Abmilderung der derzeit dramatischen Preissteigerungen in vielen Wirtschafts- und Lebensbereichen hat die österreichische Bundesregierung bereits mehrere Hilfsmaßnahmenpakete geschnürt, die sukzessive in Gesetzesform gegossen werden. In diesem Zusammenhang soll nunmehr auch die – schon seit vielen Jahren immer wieder diskutierte – Abschaffung der sogenannten kalten Progression in Angriff genommen werden, also jener Effekt von jährlichen automatischen Einkommensteuererhöhungen, der aus dem progressiven ESt-Tarif unter Außerachtlassung einer Inflationsanpassung (Teuerungsrate) resultiert.

Diese geplanten Strukturänderungen im EStG sollen den Einkommensteuerpflichtigen alleine in den kommenden vier Jahren (2023 bis 2026) Steuerentlastungen in Höhe von insgesamt mehr als EUR 20 Mrd bringen (laut BMF beziehungsweise WIFO & IHS). 

Eine Vielzahl von kurzfristigen Maßnahmen wurde zuletzt mit dem sogenannten Teuerungs-Entlastungspaket (BGBl I Nr. 93/2022 vom 30.6.2022) bereits legistisch umgesetzt. Das Teuerungs-Entlastungspaket war Teil eines umfangreichen 3. Maßnahmenpakets, welches auf einem Regierungsbeschluss des Ministerrats vom 15.6.2022 basiert. Zu den dort ebenfalls bereits beschlossenen mittelfristigen beziehungsweise strukturellen Maßnahmen gehört insbesondere auch die mit Wirkung ab dem Jahr 2023 geplante Abschaffung der kalten Progression im Einkommensteuerrecht. Die hierfür notwendigen gesetzlichen Maßnahmen sollen mit dem bereits als Begutachtungsentwurf vorliegenden Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988 geändert wird (Teuerungs-Entlastungspaket Teil II) samt zugehöriger Verordnung des Bundesministers für Finanzen zum Progressionsbericht(Progressionsberichtsverordnung – PBV) umgesetzt werden.

Teuerungs-Entlastungspaket Teil II (EStG-Novelle) 

Dem österreichischen Einkommensteuergesetz (EStG 1988) lag bisher ausschließlich das sogenannte Nominalwertprinzip zugrunde, sodass für die Einkommensbesteuerung nur der zahlenmäßige, nicht hingegen der tatsächliche Geldwert maßgebend ist. Im Falle von Preissteigerungen entspricht ein nomineller Einkommenszuwachs jedoch nicht dem realen Einkommenszuwachs. Im Rahmen des progressiven Einkommensteuertarifs (§ 33 EStG) kommt es diesfalls im Zeitablauf zum Effekt der sogenannten kalten Progression, wenn die Eckwerte des progressiven ESt-Tarifs nicht an die Preissteigerungsrate angepasst sind.

Mit den nunmehr geplanten Änderungen soll der ESt-Tarif– mit Wirkung ab dem Jahr 2023 – jährlich an die Inflationsrate (Teuerungsrate) angepasst und damit der kalten Progression begegnet werden. Gesetzestechnisch sollen zunächst die anzupassenden Beträge definiert (§ 33 Abs 1 letzter Satz EStG) und sodann die Wirkungsweise der Inflationsanpassung geregelt werden (neuer § 33a EStG).

Tarifelemente der Inflationsanpassung (§ 33 Abs 1 EStG)

§ 33 Abs 1 EStG soll um einen letzten Satz erweitert werden, der umschreibt, welche Elemente innerhalb des Steuertarifs von der Inflationsanpassung erfasst sind. Es sind dies folgende Tarifelemente:

•          Grenzbeträge, die für die Anwendung der Steuersätze für Einkommensteile bis EUR 1 Mio maßgebend sind (Hinweis: die darüber hinausgehenden, der höchsten Tarifstufe von 55 % unterliegenden Einkommensteile sollen konzeptionsgemäß nicht entlastet werden),

•          Alleinverdienerabsetzbetrag und Alleinerzieherabsetzbetrag sowie Unterhaltsabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 EStG),

•          Verkehrsabsetzbetrag, erhöhter Verkehrsabsetzbetrag und Zuschlag zum Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs 5 Z 1 bis 3 EStG),

•          Pensionistenabsetzbeträge (§ 33 Abs 6 EStG),

•          Erstattung des Alleinverdiener- und Alleinerzieherabsetzbetrages sowie die SV-Rückerstattung und SV-Bonus (§ 33 Abs 8 EStG).

Alle in diesen Vorschriften angeführten Betragswerte sind im Rahmen der Inflationsanpassung nach Maßgabe des neuen § 33a EStG zu erhöhen. Betroffen sind jeweils (nur) Beträge, nicht hingegen Prozentwerte wie beispielsweise bei der SV-Rückerstattung).

Der Kinderabsetzbetrag soll – übereinstimmend mit der Familienbeihilfe – den Regelungen des FLAG zur Inflationsanpassung unterliegen.

Methodik der Inflationsanpassung (§ 33a EStG)

In neu eingefügten § 33a EStG sollen Umfang und Methodik der Inflationsanpassung wie folgt geregelt werden:

§ 33a Abs 1 EStG enthält zunächst den programmatischen Hinweis, dass die steuerlichen Mehrbelastungen aus der kalten Progression im Rahmen der Einkommensbesteuerung den davon Betroffenen wiederum abzugelten sind (nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen in § 33a Abs 2 bis 6 EStG).

§ 33a Abs 2 EStG formuliert eine Legaldefinition der kalten Progression: Sie besteht im Mehraufkommen an Einkommensteuer aus dem Umstand, dass der Steuertarif bei Vorliegen von Inflation nicht inflationsangepasst ist. Dieses Mehraufkommen ergibt sich aus einer Differenzrechnung: Das gesamte ESt-Aufkommen bei nominal unverändertem Steuertarif ist dem ESt-Aufkommen bei Inflationsanpassung unter Berücksichtigung der vollen Inflationsrate nach Maßgabe des § 33 Abs 1 letzter Satz EStG gegenüberzustellen.

§ 33a Abs 3 EStG definiert die für die Inflationsanpassung maßgebende Inflationsrate: Es wird auf die von der Statistik Austria veröffentlichten Jahresinflationsraten des Verbraucherpreisindex abgestellt. Für die Ermittlung soll das (auf ein Zehntel eines Prozentpunktes zu rundende) arithmetische Mittel der für die Kalendermonate Juli des Vorjahres bis Mai des laufenden Jahres sowie des vorläufigen Wertes für Juni des laufenden Kalenderjahres herangezogen werden. Ergibt sich daraus eine positive Inflationsrate, ist diese maßgebend (ein allfälliger negativer Wert (Deflation) löst hingegen keine Anpassung aus).

Die Inflationsanpassung soll durch zwei sich ergänzende Maßnahmen umgesetzt werden, nämlich durch eine

  • automatische Tarifanpassung im Ausmaß von zwei Drittel der Inflationsrate (gemäß § 33a Abs 4 EStG) sowie einer
  • zusätzlichen Abgeltung des Restvolumens durch einen gesonderten Gesetzgebungsakt (gemäß § 33a Abs 5 EStG).

§ 33a Abs 4 EStG regelt den Mechanismus der automatischen Inflationsanpassung: Demnach ergibt sich für jedes Kalenderjahr eine automatische Betragsanpassung aller in § 33 Abs 1 letzter Satz EStG genannten Tarifelemente. Dabei sollen zwei Drittel der gemäß § 33a Abs 3 EStG zu ermittelnden Inflationsrate herangezogen und für das jeweilige Folgejahr wirksam werden. Die so ermittelten Beträge sind auf volle Euro Beträge aufzurunden und vom BMF alljährlich bis 31. August mit Verordnung zu veröffentlichen (da sich diese Beträge grundsätzlich bereits eindeutig aus den Gesetzesbestimmungen ergeben, kommt der VO lediglich deklarativer Charakter zu; die angepassten Betragswerte sind jedenfalls für das Folgejahr maßgebend).

Beispiel (aus den Erläuterungen): Die gemäß Abs. 3 ermittelte Inflationsrate für den Zeitraum Juli 2023 bis Juni 2024 beträgt 3,3%. Für das Kalenderjahr 2025 sind sämtliche Beträge der in § 33 Abs 1 letzter Satz umschriebenen Tarifelemente um 2,2% zu erhöhen (Anm.: ds 2/3 von 3,3%). Die Beträge sind auf volle Euro aufgerundet in einer Verordnung zu veröffentlichen. Für den Lohnsteuerabzug 2025 und die Einkommensteuerveranlagung 2025 sind die in der Verordnung veröffentlichten Werte maßgebend.

§ 33a Abs 5 EStG: Hinsichtlich des nicht bereits durch die automatische Tarifanpassung gemäß Abs 4 erfassten Volumens der kalten Progression (2/3) wird gemäß Abs 5 die Bundesregierung verpflichtet, alljährlich bis 15. September hinsichtlich dieses verbleibenden Volumens (1/3) einen Ministerratsbeschluss für Entlastungsmaßnahmen zu fassen.

§ 33a Abs 6 EStG: Das budgetäre Volumen für diese Entlastungsmaßnahmen soll auf wissenschaftlich fundierter Grundlage ermittelt werden. Dazu hat der Finanzminister zwei unabhängige wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitute mit der Erstellung eines Progressionsberichtes zu betrauen. In diesem Progressionsbericht sind neben der Höhe der gemäß Abs 3 ermittelten Inflationsrate jeweils für das Folgejahr darzustellen:

  • prognostiziertes Einkommensteueraufkommen auf Grundlage von nicht nach § 33 Abs 1 letzter Satz EStG inflationsangepassten Beträgen;
  • prognostiziertes Einkommensteueraufkommen bei Inflationsanpassung nach Maßgabe des § 33 Abs 1 letzter Satz EStG sowie einer Inflationsanpassung des für die Anwendung des Höchststeuersatzes maßgebenden Grenzbetrages unter Zugrundelegung einer positiven Inflationsrate gemäß § 33a Abs 3 EStG;
  • prognostiziertes Einkommensteueraufkommen unter Berücksichtigung der Inflationsanpassung gemäß § 33a Abs 4 EStG.

Die Differenz zwischen den ESt-Aufkommen nach den ersten beiden Punkten stellt das Gesamtausmaß der kalten Progression dar, der Wert im dritten Punkt das Gesamtausmaß der automatischen Progressionsanpassung. Die Differenz zwischen dem Gesamtausmaß der kalten Progression und jenem der nicht automatisch ausgeglichenen Progression stellt somit das verbleibende Aufkommensvolumen dar, das für diskretionäre Maßnahmen zur Inflationsabgeltung durch Ministerratsbeschluss zur Verfügung steht. Dabei soll ausdrücklich verankert werden, dass der Ermittlung der obigen Werte für das prognostizierte Einkommensteueraufkommen eine wissenschaftlich fundierte geschätzte und simulierte Verteilung von Einkommen und relevante sozioökonomische Charakteristika (z.B. Kinderzahl in Abhängigkeit vom Einkommen) zugrunde zu legen sind. Auf dieser Basis sollen Detailregelungen für den Progressionsbericht sowie eine vorzunehmende Evaluierung im Verordnungswege festgelegt werden können. Eine diesbezügliche Progressionsberichtsverordnung (PBV) des BMF liegt ebenfalls bereits im Entwurf vor.

Auf Basis des gesetzlich angeordneten Ministerratsbeschlusses haben die zuständigen Bundesminister sodann einen Gesetzesvorschlag für Entlastungsmaßnahmen im Ausmaß der noch nicht abgegoltenen kalten Progression vorzulegen. Diese Maßnahmen sollen die Bezieher:innen von Einkünften erfassen. Es sollen primär Maßnahmen im Bereich des EStG getroffen werden, die zur Senkung der Abgabenquotebeitragen können. Es können aber auch andere Maßnahmen für Erwerbstätige vorgesehen werden etwa im Bereich der Sozialversicherung, der Förderung der Mobilität von Erwerbstätigen mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder der Erleichterung von Erwerbstätigkeit sozial benachteiligter Personengruppen.

Der Progressionsbericht soll bis 31. Juli jeden Jahres vorgelegt und auch dem Nationalrat zugeleitet werden. Auf dieser Grundlage soll die Bundesregierung bis spätestens 15. September den Ministerratsbeschlussfassen, der die Basis für die Gesetzesvorschläge darstellt. Die darin vorgesehenen Entlastungsmaßnahmen sollen – wie die automatische Anpassung – jeweils ab dem nächsten Jahr wirksam werden.

Inkrafttretensbestimmungen (§ 124 b Z 412 EStG)

Die neuen Bestimmungen sollen grundsätzlich ab der Veranlagung für das Kalenderjahr 2023beziehungsweise bei Lohnsteuerpflichtigen für Lohnzahlungszeiträume ab 1.1.2023 anzuwenden sein.

Für die Inflationsanpassung für das erste Jahr 2023 sollen jedoch einige abweichende Regelungen gelten, um sämtliche Maßnahmen und Betragswerte mit hinreichend Vorbereitungszeit für die Betroffenen, insbesondere in der Lohnverrechnung, beschließen beziehungsweise veröffentlichen zu können. Statt des Progressionsberichts soll eine Studie zweier unabhängiger wissenschaftlicher Wirtschaftsforschungsinstitute (WIFO und IHS) herangezogen werden können, die der Methodik des § 33a Abs 6 EStG zu entsprechen hat und der für das prognostizierte Einkommensteueraufkommen für das Jahr 2023 die Daten aus der Einkommensverteilung des Kalenderjahres 2018 zu Grunde zu legen sind.

FAZIT

Die in das „Teuerungs-Entlastungspaket Teil II“ verpackte Novellierung des Einkommensteuergesetzes (Tarifbestimmungen in § 33 Abs 1 sowie § 33a EStG) zur Abschaffung der kalten Progression mit Wirkung ab dem Jahr 2023 kann als Meilenstein im österreichischen Einkommensteuerrecht angesehen werden und soll fortan zu einer jährlichen Steuerentlastung im Ausmaß der jeweiligen Inflationsrate führen.

Autoren

Mitterlehner Andreas  |  Panholzer Maximilian

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