Mit einer aktuellen Entscheidung beseitigt der Verwaltungsgerichtshof (VwGH 30.6.2021, Ra 2021/15/0019) bestehende Rechtsunsicherheiten in Zusammenhang mit der Verlängerung der Beschwerde- und Vorlagefrist.
1 Ausgangslage
Die Frist zur Einreichung einer Bescheidbeschwerde gegen einen Abgabenbescheid sowie zur Einbringung eines Vorlageantrages gegen eine Beschwerdevorentscheidung beträgt grundsätzlich einen Monat ab Zustellung des Bescheides (§§ 245 Abs 1 und 264 Abs 1 BAO). Beide Fristen sind aus berücksichtigungswürdigen Gründen auf Antrag (Fristverlängerungsantrag) mehrmals verlängerbar (§§ 245 Abs 3 und 264 Abs 4 lit a BAO). Durch die Einbringung eines Fristverlängerungsantrags wird der Fristenlauf gehemmt. Die verbleibende Restfrist läuft nach Zustellung einer abweisenden Entscheidung weiter (§ 245 Abs 3 und 4 BAO).
Offen war bisher die Rechtsfrage, ob die nach Einbringung eines ersten Fristverlängerungsantrags verbleibende, noch offene Restfrist bei Stattgabe dieses Antrages „konsumiert“ wird und damit bei Abweisung eines weiteren Fristverlängerungsantrages nicht mehr zur Verfügung steht.
2 Der Fall
Der vom VwGH zu beurteilende Fall stellte sich überblicksartig wie folgt dar:
- 16. November 2017: Zustellung Beschwerdevorentscheidung mit Begründung
- 14. Dezember 2017: Antrag auf Fristverlängerung bis 31. Jänner 2018
- 18. Dezember 2017: Zustellung stattgebende Entscheidung bezüglich der Fristverlängerung
- 31. Jänner 2018: Antrag auf Fristverlängerung bis 16. Februar 2018
- 12. Februar 2018: Zustellung abweisende Entscheidung bezüglich der Fristverlängerung
- 14. Februar 2018: Einbringung Vorlangeantrag
Der Beschwerdeführer (Bf) erhob gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 das Rechtsmittel der Beschwerde. Die Zustellung der Beschwerdevorentscheidung (BVE) über die eingereichte Beschwerde erfolgte am 13. November 2017, die der Bescheidbegründung am 16. November 2017. Die Frist zur Einreichung eines Vorlageantrages endete daher am 18. Dezember 2017 („Verlängerung“ der 1-Monats-Frist um zwei Tage, da der 16. Dezember 2017 und 17. Dezember 2017 ein Samstag und Sonntag waren; § 108 Abs 3 BAO). Am 14. Dezember 2017 stellte der Bf einen Fristverlängerungsantrag bis zum 31. Jänner 2018, der bewilligt wurde.
Am 31. Jänner 2018 – sohin am letzten Tag vor Ablauf der Frist – stellt der Bf einen zweiten Fristverlängerungsantrag bis zum 16. Februar 2018, der abgewiesen wurde. Die Zustellung des abweisenden Bescheides erfolgt am 12. Februar 2018.
Am 14. Februar 2018 brachte der Bf den Vorlageantrag gegen die BVE (postalisch) ein.
Das Bundesfinanzgericht (BFG) erachtete die Einreichung des Vorlageantrages am 14. Februar 2018 als rechtzeitig (BFG 10.12.2020, RV/4100566/2018). Begründend führt das BFG aus, dass die „aufgrund des ersten Fristerstreckungsantrages vom 14. Dezember 2017 noch offen gebliebene Frist von fünf Tagen – der Tag der Einbringung des Fristerstreckungsantrages ist nach dem klarstellenden Erkenntnis des VwGH vom 5. März 2020, Ro 2019/15/008, von der Hemmungswirkung umfasst – jenes Fristende [verlängert], welches durch die Zustellung des Abweisungsbescheides bewirkt wurde (12. Februar 2018). Da aber die Fristverlängerung vom Bf lediglich bis 16. Februar 2018 begehrt wurde, endet die Frist mit Ablauf des besagten Tages.“
Gegen das oa Erkenntnis des BFG erhob das Finanzamt Revision beim VwGH.
3 Entscheidung des VwGH
Der VwGH hat die Einreichung des Vorlageantrages als verspätet angesehen und die Entscheidung des BFG mit Erkenntnis vom 30. Juni 2021, Ra 2021/15/0019 wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des BFG aufgehoben.
In seiner Begründung hält der VwGH einleitend fest, dass – abweichend zum vom BFG zitierten VwGH-Erkenntnis 5. März 2020, Ro 2019/15/008, bei dem das Finanzamt bereits den ersten Fristverlängerungsantrag abgewiesen hatte – im vorliegenden Fall zunächst eine Stattgabe des Fristverlängerungsansuchens bis 31. Jänner 2018 erfolgte. Erst der zweite Fristverlängerungsantrag wurde abgewiesen.
Laut VwGH endet die Frist-Hemmung in Fällen einer Stattgabe des Fristverlängerungsansuchens mit dem Tag der Zustellung der Stattgabe. Die noch offene Restfrist geht, in der vom Finanzamt gewährten, verlängerten Frist, auf und ist nicht auf spätere Fristverlängerungsanträge „übertragbar“. Wird vor Ablauf der verlängerten Frist ein erneuter (im vorliegenden Fall zweiter) Fristverlängerungsantrag gestellt und dieser vom Finanzamt abgewiesen, ist die noch offene Restfrist, im Hinblick auf den der Abweisung zugrundeliegenden (letzten) Antrag, zu berechnen.
Im gegenständlichen Fall wurde daher durch die Stattgabe des ersten Fristverlängerungsersuchen die damals noch offene Restfrist – lt BFG fünf Tage – „konsumiert“. Mit der Stellung des zweiten Fristverlängerungsantrages am 31. Jänner 2018 – also am letzten Tag der Frist – war nur noch ein Tag der verlängerten Frist offen. Durch Zustellung des – den zweiten Fristverlängerungsantrag – abweisenden Bescheids am 12. Februar 2018 begann die (neue) noch offene Restfrist mit Ablauf des Tages, an dem die Hemmung des Fristenlaufes endete, zu laufen – sohin am 13. Februar 2018 um 0:00 Uhr – und betrug einen Tag. Der am 14. Februar 2018 eingereichte Vorlageantrag war daher um einen Tag verspätet.
Somit hätte bereits das BFG den Vorlageantrag mit Beschluss als verspätet zurückweisen müssen und keine Sachentscheidung erlassen dürfen (§ 264 Abs 4 lit e BAO).
4 Auswirkungen auf die Praxis
Wie die Rechtsprechung zeigt, führt die Berechnung des Fristenlaufs bei Verlängerung der Beschwerde- und Vorlagefrist in der Praxis immer wieder zu Problemen. Das Erkenntnis des VwGH ist der Rechtssicherheit zuträglich und zu begrüßen. Es belegt, dass die Einreichung eines Fristverlängerungsantrages wenige Tage vor Ablauf der Frist bzw am letzten Tag der Frist riskant ist.
Wird ein Fristverlängerungsantrag am letzten Tag der Frist eingereicht, beträgt die Restfrist zur Einreichung einer Beschwerde oder eines Vorlageantrages stets nur einen Tag. Dies ist der Tag NACH Zustellung der abweisenden Entscheidung. Dies gilt auch bei mehrmaligen Fristverlängerungen. Die „Übertragbarkeit“ einer offenen Restfrist aus einem stattgebenden (ersten) Fristverlängerungsantrag auf einen abweisenden nachgelagerten (zweiten) Fristverlängerungsantrag ist – wie der VwGH entschieden hat – nicht möglich.
Gerne unterstützen wir Sie bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche vor den Finanzgerichten und stehen für Ihre Fragen gerne zur Verfügung.
Autor:
Steuerberater | zertifizierter Verfahrensrechtsexperte | Director
Zum Originalartikel
Mit einer aktuellen Entscheidung beseitigt der Verwaltungsgerichtshof (VwGH 30.6.2021, Ra 2021/15/0019) bestehende Rechtsunsicherheiten in Zusammenhang mit der Verlängerung der Beschwerde- und Vorlagefrist.
1 Ausgangslage
Die Frist zur Einreichung einer Bescheidbeschwerde gegen einen Abgabenbescheid sowie zur Einbringung eines Vorlageantrages gegen eine Beschwerdevorentscheidung beträgt grundsätzlich einen Monat ab Zustellung des Bescheides (§§ 245 Abs 1 und 264 Abs 1 BAO). Beide Fristen sind aus berücksichtigungswürdigen Gründen auf Antrag (Fristverlängerungsantrag) mehrmals verlängerbar (§§ 245 Abs 3 und 264 Abs 4 lit a BAO). Durch die Einbringung eines Fristverlängerungsantrags wird der Fristenlauf gehemmt. Die verbleibende Restfrist läuft nach Zustellung einer abweisenden Entscheidung weiter (§ 245 Abs 3 und 4 BAO).
Offen war bisher die Rechtsfrage, ob die nach Einbringung eines ersten Fristverlängerungsantrags verbleibende, noch offene Restfrist bei Stattgabe dieses Antrages „konsumiert“ wird und damit bei Abweisung eines weiteren Fristverlängerungsantrages nicht mehr zur Verfügung steht.
2 Der Fall
Der vom VwGH zu beurteilende Fall stellte sich überblicksartig wie folgt dar:
Der Beschwerdeführer (Bf) erhob gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 das Rechtsmittel der Beschwerde. Die Zustellung der Beschwerdevorentscheidung (BVE) über die eingereichte Beschwerde erfolgte am 13. November 2017, die der Bescheidbegründung am 16. November 2017. Die Frist zur Einreichung eines Vorlageantrages endete daher am 18. Dezember 2017 („Verlängerung“ der 1-Monats-Frist um zwei Tage, da der 16. Dezember 2017 und 17. Dezember 2017 ein Samstag und Sonntag waren; § 108 Abs 3 BAO). Am 14. Dezember 2017 stellte der Bf einen Fristverlängerungsantrag bis zum 31. Jänner 2018, der bewilligt wurde.
Am 31. Jänner 2018 – sohin am letzten Tag vor Ablauf der Frist – stellt der Bf einen zweiten Fristverlängerungsantrag bis zum 16. Februar 2018, der abgewiesen wurde. Die Zustellung des abweisenden Bescheides erfolgt am 12. Februar 2018.
Am 14. Februar 2018 brachte der Bf den Vorlageantrag gegen die BVE (postalisch) ein.
Das Bundesfinanzgericht (BFG) erachtete die Einreichung des Vorlageantrages am 14. Februar 2018 als rechtzeitig (BFG 10.12.2020, RV/4100566/2018). Begründend führt das BFG aus, dass die „aufgrund des ersten Fristerstreckungsantrages vom 14. Dezember 2017 noch offen gebliebene Frist von fünf Tagen – der Tag der Einbringung des Fristerstreckungsantrages ist nach dem klarstellenden Erkenntnis des VwGH vom 5. März 2020, Ro 2019/15/008, von der Hemmungswirkung umfasst – jenes Fristende [verlängert], welches durch die Zustellung des Abweisungsbescheides bewirkt wurde (12. Februar 2018). Da aber die Fristverlängerung vom Bf lediglich bis 16. Februar 2018 begehrt wurde, endet die Frist mit Ablauf des besagten Tages.“
Gegen das oa Erkenntnis des BFG erhob das Finanzamt Revision beim VwGH.
3 Entscheidung des VwGH
Der VwGH hat die Einreichung des Vorlageantrages als verspätet angesehen und die Entscheidung des BFG mit Erkenntnis vom 30. Juni 2021, Ra 2021/15/0019 wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des BFG aufgehoben.
In seiner Begründung hält der VwGH einleitend fest, dass – abweichend zum vom BFG zitierten VwGH-Erkenntnis 5. März 2020, Ro 2019/15/008, bei dem das Finanzamt bereits den ersten Fristverlängerungsantrag abgewiesen hatte – im vorliegenden Fall zunächst eine Stattgabe des Fristverlängerungsansuchens bis 31. Jänner 2018 erfolgte. Erst der zweite Fristverlängerungsantrag wurde abgewiesen.
Laut VwGH endet die Frist-Hemmung in Fällen einer Stattgabe des Fristverlängerungsansuchens mit dem Tag der Zustellung der Stattgabe. Die noch offene Restfrist geht, in der vom Finanzamt gewährten, verlängerten Frist, auf und ist nicht auf spätere Fristverlängerungsanträge „übertragbar“. Wird vor Ablauf der verlängerten Frist ein erneuter (im vorliegenden Fall zweiter) Fristverlängerungsantrag gestellt und dieser vom Finanzamt abgewiesen, ist die noch offene Restfrist, im Hinblick auf den der Abweisung zugrundeliegenden (letzten) Antrag, zu berechnen.
Im gegenständlichen Fall wurde daher durch die Stattgabe des ersten Fristverlängerungsersuchen die damals noch offene Restfrist – lt BFG fünf Tage – „konsumiert“. Mit der Stellung des zweiten Fristverlängerungsantrages am 31. Jänner 2018 – also am letzten Tag der Frist – war nur noch ein Tag der verlängerten Frist offen. Durch Zustellung des – den zweiten Fristverlängerungsantrag – abweisenden Bescheids am 12. Februar 2018 begann die (neue) noch offene Restfrist mit Ablauf des Tages, an dem die Hemmung des Fristenlaufes endete, zu laufen – sohin am 13. Februar 2018 um 0:00 Uhr – und betrug einen Tag. Der am 14. Februar 2018 eingereichte Vorlageantrag war daher um einen Tag verspätet.
Somit hätte bereits das BFG den Vorlageantrag mit Beschluss als verspätet zurückweisen müssen und keine Sachentscheidung erlassen dürfen (§ 264 Abs 4 lit e BAO).
4 Auswirkungen auf die Praxis
Wie die Rechtsprechung zeigt, führt die Berechnung des Fristenlaufs bei Verlängerung der Beschwerde- und Vorlagefrist in der Praxis immer wieder zu Problemen. Das Erkenntnis des VwGH ist der Rechtssicherheit zuträglich und zu begrüßen. Es belegt, dass die Einreichung eines Fristverlängerungsantrages wenige Tage vor Ablauf der Frist bzw am letzten Tag der Frist riskant ist.
Wird ein Fristverlängerungsantrag am letzten Tag der Frist eingereicht, beträgt die Restfrist zur Einreichung einer Beschwerde oder eines Vorlageantrages stets nur einen Tag. Dies ist der Tag NACH Zustellung der abweisenden Entscheidung. Dies gilt auch bei mehrmaligen Fristverlängerungen. Die „Übertragbarkeit“ einer offenen Restfrist aus einem stattgebenden (ersten) Fristverlängerungsantrag auf einen abweisenden nachgelagerten (zweiten) Fristverlängerungsantrag ist – wie der VwGH entschieden hat – nicht möglich.
Gerne unterstützen wir Sie bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche vor den Finanzgerichten und stehen für Ihre Fragen gerne zur Verfügung.
Autor:
Johannes Reiter
Steuerberater | zertifizierter Verfahrensrechtsexperte | Director
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