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Dr. Christoph Wiesinger im BFGjournal zu Gast

Seit 2002 ist Dr. Christoph Wiesinger in der Wirtschaftskammer Österreich in Wien, Geschäftsstelle Bau der Bundesinnung Bau und des Fachverbandes der Bauindustrie tätig. Dort ist er unter anderem für die arbeitgeberseitige Vorbereitung der Kollektiv­vertragsver­handlungen verantwortlich. Auch in die Gesetzesbe­gutachtungen (zB Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungs­gesetz, Sozial­betrugsbekämpfungs­gesetz, BUAG-Novellen) ist er eingebunden gewesen. Seit 2012 ist Christoph Wiesinger fachkundiger Laienrichter am Obersten Gerichtshof und am Bundes­verwaltungsgericht (Vergabe­recht).

Dr. Christoph Wiesinger studierte 1995 bis 2001 an der Universität Wien Rechtswissenschaften und Geschichte.

Dr. Christoph Wiesinger hat bereits zur „Corona-Ausnahmesituation“ ausführlich in der SWK und ASoK berichtet und wichtige Informationen zusammengestellt. Daher war es naheliegend, den vielfachen Autor und Vortragenden (zuletzt von einigen Webinaren) zu einem Gespräch zu bitten.

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BFGjournal: Wie geht es Ihnen? Wird es nach nunmehr zwei Monaten etwas ruhiger?

Christoph Wiesinger : Ja, es wird ruhiger, aber das ist auch völlig logisch. Als Unternehmen wollen sie mit ihrer Interessenvertretung eher weniger zu tun haben, weil sie diese ja vor allem dann brauchen, wenn sie Probleme haben. Das ist so ähnlich wie beim Zahnarzt. Da gehen sie auch nicht gerne hin, solange sie keine Zahnschmerzen haben. Wenn sie aber welche haben, sind sie froh, wenn er ihnen hilft. Nachdem – speziell in der Bauwirtschaft, für die ich tätig bin – die Betriebe wieder arbeiten dürfen, widmen sie sich wieder verstärkt ihrem Kerngeschäft.

BFGjournal: Was waren die häufigsten Anfragen bei Ihnen in der Wirtschaftskammer?

Christoph Wiesinger : Das kann ich nur aus zweiter Hand beantworten, weil ich kaum in der direkten Anfragenbeantwortung tätig war, sondern zur Hintergrundarbeit eingesetzt war. Neben Kurzarbeit waren das vor allem Fragen zu den Bedingungen, unter denen gearbeitet werden darf. Kollegen, die im direkten Kontakt mit Unternehmen waren, haben mir aber berichtet, dass rund 90 % der Anfragen mit der FAQ-Liste beantwortet werden konnten.

BFGjournal: Sie sind Experte im Arbeits­recht und kennen die Arbeitgeberseite sehr gut. Wie sehen Sie die „Covid-19-Gesetze“ für das Arbeits­recht? 1

Christoph Wiesinger : Da wurde in kurzer Zeit schon vieles geschaffen. Manches ist nicht ideal gelöst, manches hätte man auch besser formulieren können, aber man darf nicht übersehen, dass vieles unter großem Zeitdruck geschaffen wurde und geschaffen werden musste. Jetzt im Nachhinein gute Tipps zu geben, ist vergleichsweise einfach.

BFGjournal: Die „Corona-Kurzarbeit“ wird sehr gut angenommen, es häufen sich aber auch Berichte über eine missbräuchliche Inanspruchnahme. Wie ist Ihre erste Zwischenbilanz?

Christoph Wiesinger : Die COVID-19-Kurzarbeit ist auch für versierte Personalisten eine echte Herausforderung. Aber, um auf Ihre Frage einzugehen: Ich kenne nur mediale Seite 196 Berichte, da wurden jedoch auch Verstöße geschildert, die mit Kurzarbeit an sich nichts zu tun haben – etwa klassische Schwarzbeschäftigung. Gegen den Missbrauch von Förderungen muss man natürlich scharf vorgehen. Dabei soll jedoch nicht übersehen werden, dass die Förderungen zum Teil kompliziert gestaltet sind. Nicht jede falsche Abrechnung passiert dann automatisch in betrügerischer Absicht. Da muss man jeden Einzelfall für sich beurteilen.

BFGjournal: Der Gesetzgeber war gefordert, rasch und umfassend auf die Krise zu reagieren. Wie ist aus Ihrer Sicht dieser Spagat gelungen? Wo gibt es im Einzelnen Schwierigkeiten bei der Abwicklung der Hilfsinstrumente?

Christoph Wiesinger : Diejenigen, die etwas bekommen haben, freuen sich; die, die nichts bekommen haben, schreien auf. Man darf also nicht aus den medialen Berichten den Rückschluss ziehen, es sei nichts passiert. Sicher war nicht alles optimal, aber nochmals: Ex post gute Tipps zu geben, ist einfach.

BFGjournal: Zuletzt wurde ua das Epidemie­gesetz – gewissermaßen der Ausgangspunkt zur Krisenbewältigung – novelliert. Sind die zahlreichen, in unterschiedlichen Rechtsquellen normierten Maßnahmen – es gibt bald 18 COVID-Gesetze, viele Verordnungen und etliche Erlässe sowie ministerielle Informationen – überhaupt noch zu überblicken? Wie schwer ist es, selbst für einen absoluten Profi, auf den aktuellen Stand der Dinge zu sein bzw zu bleiben? 2

Christoph Wiesinger : Es gibt wahrscheinlich niemanden, der noch einen vollständigen Überblick hat. Ich möchte aber nochmals auf die Anfragen und Auskünfte zurückkommen: Wir alle haben Neuland betreten und es gibt logischerweise noch keine höchst­gerichtliche Rechtsprechung zu diesen Materien. Trotzdem wollen viele, die Frage stellen, absolute Rechtssicherheit haben. Wir leben in einer Rückver­sicherungs- und Rechts­anspruchsgesellschaft. Wenn COVID-19 etwas gezeigt hat, dann ist es, dass dies nicht mehr die Realität ist und eigentlich auch nie war. Unternehmen werden Entscheidungen treffen müssen, auch wenn nicht alles klar ist.

BFGjournal: Dr. Thomas Leitner, Richter am BFG, hat die Einfügung der § 323c und 323d BAO durch das 2. Covid-19-Gesetz ausführlich besprochen. Hierin wurde eine Unterbrechung der im ordentlichen Rechtsmittel­verfahren vorgesehenen Fristen (insb der Beschwerde­frist) bis zum Ablauf des 30. 4. 2020 normiert. 3

Im danach erlassenen Verwaltungs­rechtlichen COVID-19-Begleit­gesetz wurden in § 2 – allerdings für den Anwendungsbereich des AVG – für Antrags- und Verjährungs­fristen eine Fristhemmung für die Zeit vom 22. 3. 2020 bis zum Ablauf des 30. 4. 2020 sowie für Entscheidungs­fristen darüber hinaus eine Fristverlängerung von sechs Wochen verfügt. 4

Ist es nicht so, dass dadurch die Länge der jeweils anwendbaren Frist nur mehr für Experten durchschaubar ist?

Christoph Wiesinger : Ja, wie schon gesagt, es ist nicht alles optimal. Ich kann auch ein anderes Beispiel nennen: Bei Fahrten in der Arbeitszeit gelten nach der COVID-19-Lockerungs­verordnung andere Regeln als bei Fahrten außerhalb der Arbeitszeit. Ist also das Virus weniger ansteckend, wenn die Leute bezahlt werden? Natürlich nicht, aber es ist nun einmal so geregelt.

BFGjournal: Kommen wir zum Steuer­recht. Unternehmen zahlen ihren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen steuerfreie bzw -begünstigte Prämien oder verteilen Gutscheine. Wie finden Sie diese Regelung, insbesondere auch aus arbeits­rechtlicher Sicht? 5

Seite 197 Christoph Wiesinger : Sicher eine gute Idee. Nachdem es – wahrscheinlich oder doch zu einem guten Teil – Beziehern von niedrigeren Einkommen zugutekommt, kann dies auch den Konsum im Allgemeinen fördern. Auch aus Arbeitgebersicht ist die Regelung sehr attraktiv, voraus­gesetzt, man gehört zu jener Gruppe, die arbeiten konnte.

BFGjournal: Können Sie einen Blick in die Zukunft wagen? Was erwartet uns im Herbst oder sollte ich besser fragen, was erwartet uns in den nächsten Jahren? Sie haben auch Geschichte studiert. Wie schätzen Sie als Historiker die Lage ein?

Christoph Wiesinger : Die weitere Entwicklung wird stark vom Fortschritt bei der medizinischen Bekämpfung des Virus geprägt sein. Aber da ich kein Virologe bin, wage ich da keine Prognosen. Ich würde es umgekehrt auch nicht gerne sehen, wenn sich Virologen arbeits­rechtlichen Analysen widmen würden. Aber im Ernst – die Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins. Wenn immer wieder Vergleiche mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 gezogen werden, darf man nicht übersehen, warum diese entstanden ist. Die meisten Staaten waren der Ansicht, dass sie ihre Wirtschaft schützen mussten und zogen schrittweise Handelsbarrieren und Zollschranken hoch, die im Ergebnis das ganze System abwürgten. Dieser Fehler sollte also nicht wiederholt werden. Die Wirtschaft kam damals eigentlich erst wieder mit der Kriegskonjunktur des Zweiten Weltkriegs so richtig in Gang. Das aber bitte nicht falsch verstehen; ich halte Kanonendonner nicht für das geeignete Mittel, um jetzt die Wirtschaft anzukurbeln. Der New Deal hat hingegen vergleichsweise wenig gebracht, abgesehen davon, dass wir als Touristen, wenn wir wieder über den Atlantik reisen können, von einem Teilprogramm bis heute etwas haben. Die Infrastruktur vieler Nationalparks wurde nämlich damals vom CCC ( Civilian Conservation Corps, Anm) geschaffen. Das war ein riesiges Beschäftigungsprogramm, mit dem die Arbeitslosigkeit bekämpft werden sollte. Das hat man übrigens auch in Österreich gemacht, namentlich mit der Großglockner-Hochalpenstraße und der Wiener Höhenstraße. Aber – wie gesagt – der wirtschaftliche Erfolg war damals auf beiden Seiten des Atlantiks eher bescheiden.

BFGjournal: Hat die Wirtschaftskammer für „Corona“ Personal aufgestockt oder neue bzw andere „Servicestellen“ eingerichtet?

Christoph Wiesinger : Das Personal wurde nicht aufgestockt, aber es hat intern massive Umverteilungen gegeben. Mitarbeiter aus Dienststellen, deren eigentliche Leistungen temporär nicht nachgefragt waren, wurden in der Hotline (Telefon und Mail-Anfragen) eingesetzt.

1) Mein Ziel für heuer ist (beruflich oder privat) …

… zumindest noch zwei Bücher zu publizieren (Neuauflagen miteingeschlossen).

2) Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer Arbeit?

In meiner Studienzeit habe ich Praxis bei einem Rechtsanwalt gesammelt. Das war spannend, aber immer auf den Einzelfall bezogen. Jetzt kümmere ich mich um eine Branche und nicht um den Einzelfall. Das ist noch spannender.

3) Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?

Michael Gehler, „Modellfall für Deutschland? Die Österreichlösung mit Staats­vertrag und Neutralität 1945–1955“. Ohne überheblich sein zu wollen: Das Werk ist nur für Leser geeignet, die ein besonders ausgeprägtes Interesse an Zeitgeschichte haben; für diese ist es aber ein Gewinn. Ich habe es als Buch gelesen und weiß nicht einmal, ob es digital verfügbar ist.

4) Welche sozialen Medien nutzen Sie? Was sind Ihre Lieblingspodcasts? Haben Sie einen Blog?

Ich bin da nicht extrem präsent, aber einen Lieblingspodcast habe ich – das Börsenradio. Man darf da nicht alles glauben, aber in Summe bekommt man einen interessanten Überblick.

5) Nach der Arbeit …

… lese ich gerne ein Buch zum Thema Geschichte. Da weiß ich als Historiker wenigstens, wie es ausgeht. Vor der Lektüre weiß ich aber nicht immer, warum.

1 Christoph Wiesinger, Die Bedeutung der COVID-19-Gesetze für das Arbeits­recht, SWK 10-11/2020, 516; COVID-19-Informationen im Überblick (Steuerliche Erleichterungen – Registrierkassen – Betretungsverbote – Maßnahmen der ÖGK und der SVS – Instrumente zur Liquiditäts­sicherung – Kurzarbeit) SWK 10-11/2020, 538; COVID-19: Arbeits- und sozial­versicherungs­rechtliche Maßnahmen, ASoK 2020, 155.

2 Christoph Wiesinger, Arbeits­rechtliche Fragen zu Epidemien, SWK 9/2020, 469.

3 Thomas Leitner, Legistische Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Abgaben­verfahren, BFGjournal 2020, 103.

4 BGBl I 16/2020 idF BGBl I 24/2020.

5 Christoph Wiesinger, Zulagen und Bonus­zahlungen infolge von COVID-19, ecolex 2020, 387.

Der Linde Verlag ist tätig im Bereich Recht, Wirtschaft und Steuern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Steuerrecht. Erfahren Sie hier mehr über die Verlagsgeschichte, die Programmstruktur und die Kooperationspartner des Hauses.

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