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Allgemein BFG

Geschäftsführerhaftung gemäß § 9 BAO: Verschuldensprüfung im Haftungsverfahren auch bei Vorhandensein von Bindungswirkung auslösenden Abgabenanspruchsbescheiden

Weist der Haftungspflichtige ein Verschulden an einer Verletzung der Pflicht zur Entrichtung bzw. Abfuhr einer Abgabe von sich, so hat die Behörde zwar von der objektiven Richtigkeit der Abgabenvorschreibung auszugehen, muss sich aber im Haftungsverfahren mit dem das Verschulden bekämpfenden Einwand des Haftungspflichtigen befassen.

Wenn Abgaben gegenüber dem Primärschuldner bescheidmäßig festgesetzt sind und der zur Haftung Herangezogene sohin gemäß § 248 BAO gegen den Bescheid betreffend den Abgabenanspruch Berufung erheben kann, können im Verfahren über die Geltendmachung der Haftung Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgaben nicht mit Erfolg erhoben werden. Gleichwohl ist es aber unter dem Aspekt des dem Geschäftsführer vorzuwerfenden Verschuldens an der Verletzung der Vertreterpflichten beachtlich, wenn er aufgrund eines Rechtsirrtums die Entrichtung der Abgaben unterlassen hat und ihm ausnahmsweise ein solcher Rechtsirrtum nicht vorzuwerfen wäre.

Hat sich der Geschäftsführer nicht bei der Abgabenbehörde über deren Rechtsstandpunkt zum Bestehen einer Abgabepflicht erkundigt und zur Durchsetzung seiner Rechtsansicht die Vorschreibung (hier: der Lohnsteuern gemäß § 202 BAO) beantragt, ist ihm ein Verschulden an der Pflichtverletzung anzulasten.

Die Verantwortung als Geschäftsführer einer Gesellschaft beginnt nicht erst mit der Begründung der Vertretungsfunktion, weil der Geschäftsführer auch verpflichtet ist, bis dahin angesammelte Abgabenrückstände zu begleichen.

Es kommt nicht darauf an, dass der die Steuerpflicht der Gesellschaft auslösende Sachverhalt vor der Übernahme der Geschäftsführertätigkeit verwirklicht worden ist, weil die Pflicht der Gesellschaft zur Abgabenentrichtung erst mit deren Abstattung endet und die Gesellschaft verpflichtet bleibt, Abgabenschuldigkeiten, mit deren Abfuhr oder Einzahlung sie in Rückstand geraten ist, zu erfüllen.

Wird ein Geschäftsführer zur Haftung für jene (uneinbringlichen) Lohnsteuern herangezogen, deren zugrunde liegende Löhne bereits vor Begründung seiner Geschäftsführungsfunktion ausbezahlt wurden, so kommt in einem solchen Fall der Gleichbehandlungsgrundsatz ausnahmsweise auch für die Lohnsteuer zum Tragen und eine schuldhafte Verletzung der Abgabenzahlungspflicht ist (nur) dann gegeben, wenn der Vertreter Mittel für die Bezahlung zur Verfügung hatte und nicht – wenn auch nur anteilig – für die Abgabentilgung Sorge getragen hat. Ein Sorgfaltsverstoß anlässlich der Auszahlung der Löhne kann nämlich nur demjenigen Geschäftsführer angelastet werden, der im Fälligkeitszeitpunkt (gemeint: Auszahlungszeitpunkt) der auf den Lohnzahlungen lastenden Lohnsteuer die Geschäftsführungsfunktion innehatte.


Entscheidung: BFG 13. 2. 2019, RV/2100041/2019, Revision nicht zugelassen.
Norm: § 9 Abs 1 BAO.


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