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Prof. Dr. Werner Doralt im BFGjournal zu Gast

Der vielfach ausgezeichnete Fachautor ist Begründer und Herausgeber der KODEX-Reihe, die gemeinsam von Linde Verlag und LexisNexis verlegt wird. 2019 feiert der KODEX sein 40-jähriges Jubiläum. – Aus diesem Anlass hat auch die angesehene deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ Professor Doralt ein Portrait gewidmet. 1

BFGjournal: Wie war die Geburtsstunde des KODEX? Handelte es sich um eine spontane oder eine langsam gereifte Idee?

Werner Doralt: Es war beides, eine spontane Idee, aber bis zur Realisierung gereift. Bis heute, also in den gesamten 40 Jahren, hat sich das Grundkonzept des KODEX praktisch unverändert bewährt, und damit österreichische Verlagsgeschichte geschrieben.

BFGjournal: Auch in Zeiten des Internets und der Digitalisierung hat der KODEX nichts an Attraktivität verloren. Was ist das Geheimnis seines Erfolgs?

Werner Doralt: In Zeiten des Internets haben sich die Aufgaben­stellungen geändert: In Bereichen, die für den Benützer nicht unbedingt den beruflichen Schwerpunkt bilden, verwendet man gerne das RIS. Dort aber, wo der Benützer seinen beruflichen Schwerpunkt hat, ist der KODEX am Schreibtisch nach wie vor unentbehrlich.

(Bild: © Linde Verlag)
Univ.-Prof. Dr. Werner Doralt promovierte 1968 an der Universität Wien, wurde 1974 zum Steuerberater ernannt, habilitierte sich 1976 aus dem Fach Finanz­recht und wurde 1980 an die Universität Innsbruck berufen. (Bild: © Linde Verlag)

BFGjournal: Bereits 2010 konnte ich mit Ihnen anlässlich Ihrer Emeritierung ein Interview führen. Auch damals dachte man an ein neues EStG. Jetzt soll es tatsächlich so weit sein. Was erwarten Sie vom EStG 2020?

Werner Doralt: Wie auch den Medien zu entnehmen ist, soll vor allem die Arbeit steuerlich entlastet werden. Das ist mit Sicherheit ein berechtigtes Anliegen.

BFGjournal: Und sonst?

Werner Doralt: Was mir im Vergleich zu früher besonders fehlt, sind die Investitionsbegünstigungen für Einzel­unternehmer, insbesondere vorzeitige Abschreibungen. Bei den hohen Steuersätzen in der Einkommen­steuer hätten sie eine erhebliche Hebelwirkung – natürlich dürften es keine Bagatellsätze sein; Vorbild wäre Deutschland. Zugleich wären sie ein Ausgleich gegenüber dem niedrigen Steuersatz in der Körperschaft­steuer.

BFGjournal: Sie haben sich kritisch zur Abschaffung der kalten Progression geäußert. Warum?

Werner Doralt: Ja, das ist richtig: Eine kalte Progression bzw die Budgetreserven daraus sind Voraussetzung für eine aktive Steuerpolitik. Ohne solche Reserven ließen sich zB überhöhte Steuerbegünstigungen nicht abschaffen. Denn auch nach einer Steuerreform dürfen politisch relevante Bevölkerungsgruppen nicht schlechter aussteigen als vor der Reform. Aber auch den „Familien­bonus plus“ könnte es ohne kalte Progression nicht geben. Hätte nämlich die Vorgängerregierung – wie zunächst geplant – die kalte Progression abgeschafft, wäre der Familien­bonus nicht finanzierbar gewesen.

Dr. Angela Stöger-Frank, die Leiterin des Evidenzbüros des BFG, im Interview mit Univ.-Prof. Dr. Werner Doralt. (Bild: © Linde Verlag)
Dr. Angela Stöger-Frank, die Leiterin des Evidenzbüros des BFG, im Interview mit Univ.-Prof. Dr. Werner Doralt. (Bild: © Linde Verlag)

BFGjournal: Das sind aber bisher kaum bedachte Überlegungen …

Werner Doralt: Ja, und dazu kommt noch ein anderer Punkt: Bei der Abschaffung der kalten Progression wird der Steuertarif in seiner Grundstruktur festgeschrieben und in den späteren Jahren nur mehr den geänderten Verhältnissen angepasst. Bisher war es aber immer politischer Konsens, dass aus einer Steuerreform die niedrigen Einkommen mehr profitieren als Bestverdiener. Aus einer Abschaffung der kalten Progression würden daher lang­fristig die Spitzenverdiener profitieren.

BFGjournal: Die Abschaffung der kalten Progression ist aber – wie man hört – bereits politisch akkordiert.

Werner Doralt: Ja, und das ist besonders grotesk: Die Bundesregierung kann ja die Progression anpassen, sooft sie will, auch jährlich. Wozu dann aber eine Selbstbindung durch den Gesetzgeber? Mit der Abschaffung der kalten Progression bindet die Bundesregierung vor allem künftige Bundesregierungen. Denn einmal abgeschafft, lässt sich eine Änderung politisch nur mehr schwer durchsetzen.

BFGjournal: Sie haben oft den Finger in offene Wunden des Steuer­rechts gelegt und sich damit nicht immer beliebt gemacht. Empfinden Sie es als Genugtuung, dass man Ihnen im Nachhinein Recht gegeben hat?

Werner Doralt: Sie sprechen damit wohl die Themen anonymes Sparbuch und Bankgeheimnis an. Als ich damals prophezeite, dass das anonyme Sparbuch abgeschafft werden muss, wurde das von politischer Seite bestritten. Entweder hatte ich hellseherische Fähigkeiten oder die Politiker sagten vor laufender Kamera schlichtweg nicht die Wahrheit – und ich zweifle an meinen hellseherischen Fähigkeiten. Das Gleiche war dann beim Bankgeheimnis.

BFGjournal: Sie werden als Visionär bezeichnet oder, wie kürzlich in einem Interview in der ZEIT, als Missionar. Sie wollten zum Beispiel lange vor der Wirtschaftsuniversität Wien ein Wirtschafts­rechtsstudium an der Universität Wien einrichten. Man folgte Ihnen nicht. Warum wurde das abgelehnt?

(Bild: © Linde Verlag)
1998 erhielt Univ.-Prof. Dr. Werner Doralt den Ruf an die Universität Wien und wurde hier Vorstand des neu gegründeten Instituts für Finanz­recht. 2010 emeritierte Doralt, ist aber weiterhin voll aktiv. (Bild: © Linde Verlag)

Werner Doralt: Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern: Ich war erst seit kurzer Zeit wieder in Wien am Juridicum und habe neben der traditionellen Studien­ordnung die Einführung einer wirtschaftsjuristischen Studien­ordnung vorgeschlagen. Nur wenige Kollegen unterstützten meinen Vorschlag. Die Bestätigung kam dann allerdings wenige Jahre später, als die Wirtschaftsuniversität Wien einen solches Studium – wie man sieht mit Erfolg – einführte.

BFGjournal: Womit beschäftigen Sie sich aktuell?

Werner Doralt: Ich bereite bereits die Neuauflage für das „Steuer­recht 2019/20“ vor, und daneben ist der KODEX mit rund 70 Bänden eine ständige Herausforderung.

BFGjournal: Bei unserem Interview im Jahr 2010 waren Sie der Ansicht, dass sich der Unabhängige Finanzsenat doch rasch von der Finanz­verwaltung emanzipiert hatte. Heute interessiert mich natürlich, wie Sie das Bundesfinanz­gericht bzw seine Richterinnen und Richter sehen.

Werner Doralt: Ich sehe das Bundesfinanz­gericht heute nicht anders als den UFS damals. Schon die damalige Sorge, der UFS könnte sich nur schwer von der Finanz­verwaltung emanzipieren, war nicht gerechtfertigt. Diesen Weg ist das BFG erfolgreich weitergegangen.

1) Mein Ziel für heuer ist?

… eine Neuauflage für das „Steuer­recht 2019/20“.

2) Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?

Eine Biografie über Martin Luther.

3) Welche Persönlichkeit würden Sie gerne näher kennenlernen?

Ich treffe mich lieber mit Freunden.

4) Nach der Arbeit …

… gehe ich gerne ins Fitnesscenter.

1 Kwapil, Werner Doralt – Der Steuermissionar, ZEIT Österreich vom 21. 2. 2019.

Der ganze Artikel (BFGjournal 2019, 90) als PDF und bei Linde Digital.

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