X
Digital
Nachhaltigkeit News Podcast

#105 – Sarah Fürlinger – Leitlinien für Unternehmen zu Nachhaltigkeitskooperationen

Kartellrecht: die Nachhaltigkeitsausnahme für unternehmerische Kooperationen

Im Sinne des „European Green Deals” der Europäischen Kommission hat der Österreichische Gesetzgeber mit dem Kartell- und Wettbewerbsrechts- Änderungsgesetzes 2021 eine stärkere Orientierung des Kartell- und Wettbewerbsrechts an den Nachhaltigkeitszielen vorgenommen.

Unternehmerische Kooperationen, welche zwar den Wettbewerb beschränken aber wesentlich zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft beitragen, sollen in einem weiteren Umfang als bisher von der Möglichkeit der Freistellung vom Kartellverbot profitieren können.

Anfang Juni 2022 veröffentlichte die Bundeswettbewerbsbehörde einen Entwurf der Leitlinien für Unternehmen zu Nachhaltigkeitskooperationen. Bis Ende Juni 2022 konnten Stellungnahmen bei der Bundeswettbewerbsbehörde eingereicht werden. Über 20 Stellungnahmen von nationalen und internationalen Expertinnen und Experten, Ministerien und Gerichten erreichten die Bundeswettbewerbsbehörde. Diese Stellungnahmen wurden nun in die abschließende Version der Leitlinien eingearbeitet.

Warum hat die Bundeswettbewerbsbehörde nun Leitlinien für Unternehmen zu Nachhaltigkeitskooperationen veröffentlicht?

Die Leitlinien sollen im Wettbewerb stehende Unternehmen dabei unterstützen, die Anwendung des Kartellrechts bei geplanten Nachhaltigkeitskooperationen besser einschätzen zu können. Dies schließt insbesondere Vereinbarungen ein, die im Zuge der Entwicklung oder Verbesserung von Produkten sowie Dienstleistungen einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, ohne zwischenstaatliche Wirkungen zu entfalten.

Die Leitlinien erklären ebenso, wann Unternehmen die Nachhaltigkeitsausnahme gemäß § 2 Abs 1 letzter Satz KartG zur kartellrechtlichen Rechtfertigung einer Kooperation heranziehen können. Führt eine Kooperation zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs im Sinne des § 1 KartG, ist eine Rechtfertigung unter den beiden folgenden Voraussetzungen zu prüfen:

– die Kooperation trägt über die entstehenden Effizienzgewinne zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft bei,

– das Europäische Wettbewerbsrecht kommt mangels Erfüllung des Zwischenstaatlichkeitskriteriums nicht zur Anwendung.

Die Ausnahmeregelung in § 2 KartG

Obwohl es Unternehmen nach § 1 KartG grundsätzlich untersagt ist, eine Vereinbarung einzugehen, die den Wettbewerb beschränkt, kann eine solche unter Umständen dennoch rechtlich zulässig sein. Hierzu muss sie die Rechtfertigungskriterien des § 2 KartG erfüllen. Unabhängig davon, ob die Kooperation unter die neue Nachhaltigkeitsausnahme gemäß § 2 Abs 1 letzter Satz KartG fällt.

§ 2 Abs 1: Vom Verbot nach § 1 sind Kartelle ausgenommen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher:innen an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen

a) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind oder,

b)Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

Unternehmen können somit darlegen, dass eine angestrebte Kooperation, die den Wettbewerb grundsätzlich beschränkt, die folgenden Voraussetzungen für eine Freistellung nach § 2 Abs 1 KartG erfüllt und damit zulässig ist.

– Erzielung von Effizienzgewinnen.

– Angemessene Beteiligung der Verbraucher:innen an diesen Effizienzgewinnen.

– Unerlässlichkeit der Einschränkung des Wettbewerbs.

– Keine Ausschaltung des Wettbewerbs.

Das KaWeRÄG 2021 modifizierte das Erfordernis der Verbraucher:innenbeteiligung wie folgt:

Die Verbraucher:innen sind auch dann angemessen beteiligt, wenn der Gewinn, der aus der Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts entsteht, zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft wesentlich beiträgt.

Praxisbeispiele die nach Auffassung der Bundeswettbewerbsbehörde den Wettbewerb nicht beschränken

– Unternehmen welche die Reputation ihrer Industrie hinsichtlich Nachhaltigkeit verbessern wollen. Beispielsweise durch die Einschränkung des Plastikgebrauchs, der Temperatur ihrer Bürogebäude oder auch die Anzahl an Papierdrucken.

– Kooperation von Wettbewerber:innen zur Erstellung einer gemeinsamen Datenbank (Zulieferer:innen die nachhaltige Produktionsprozesse verwenden, Händler:innen die Produkte auf nachhaltige Weise vertreiben).

– Kooperation von Wettbewerber:innen, welche die Organisation von Kampagnen zur Sensibilisierung von Verbraucher:innen hinsichtlich des ökologischen Fußabdruckes ihres Konsums betreffen.

Der Leitfaden stellt eine Hilfestellung der Bundeswettbewerbsbehörde dar. Für den Fall, dass Zweifel an der Zulässigkeit einer Nachhaltigkeitskooperation bestehen sollten, kann bei der Bundeswettbewerbsbehörde – vor Vollzug der Kooperation – um informelle und verbindliche Einschätzung nach § 2 Abs 5 Wettbewerbsgesetz ersucht werden.

Sarah Fürlinger gibt ihre persönliche Meinung wieder. Die Äusserungen binden die Bundeswettbewerbsbehörde nicht.

Der Linde Verlag ist tätig im Bereich Recht, Wirtschaft und Steuern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Steuerrecht. Erfahren Sie hier mehr über die Verlagsgeschichte, die Programmstruktur und die Kooperationspartner des Hauses.