Entscheidung: VfGH 26. 6. 2020, E 2851/2018.
Norm: § 292 BAO.
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Antrags auf Verfahrenshilfe in einem Verfahren nach der BAO mangels Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten des Antragstellers als besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art.
In verfassungskonformer Auslegung schließt § 292 Abs 1 BAO die Gewährung von Verfahrenshilfe im Einzelfall nicht schon deshalb aus, weil objektiv keine komplexe, besonders schwierige Frage rechtlicher Art vorliegt. In verfassungskonformer Auslegung können zum einen auch besondere Schwierigkeiten bei der Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhaltes, also Fragen tatsächlicher Natur, einen Anspruch auf Verfahrenshilfe begründen, zumal Tatsachenfragen regelmäßig in Rechtsfragen münden; und zum anderen sind stets auch die Fähigkeiten des betroffenen Antragstellers zu berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu vertreten (VfGH 26. 6. 2020, G 302/2019).
Indem das BFG einen Anspruch auf Verfahrenshilfe allein mit dem Hinweis auf die Einfachheit der Rechtsfrage versagt hat, ohne auf die subjektiven Fähigkeiten der Person des Antragstellers einzugehen, hat es der Vorschrift des § 292 BAO einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Dabei ist unerheblich, ob der Sachverhalt im Beschwerdeverfahren in den Anwendungsbereich des Unionsrecht fällt, da der Gesetzgeber die Vorschrift des § 292 BAO im Hinblick auf das Konzept des Art 47 Abs 3 GRC verfassungskonform ausgestaltet hat, nicht aber deren Anwendung auf Fälle eingeschränkt hat, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen.
Entscheidung: VfGH 26. 6. 2020, G 302/2019.
Norm: § 292 BAO.
Keine Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung der BAO betreffend die Einschränkung der Gewährung von Verfahrenshilfe auf Fälle, deren zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen; verfassungskonforme Interpretation der Bestimmung möglich und geboten.
Mit Blick auf Abgabenverfahren, in denen das Recht der Europäischen Union durchzuführen ist, ist zu prüfen, ob § 292 BAO idF BGBl I 2016/117 den Vorgaben des Art 47 GRC – der insoweit mit Art 6 EMRK übereinstimmt – entspricht. Hiebei ist von folgenden Erwägungen auszugehen: Der VfGH hat in VfSlg 19632/2012 ausgeführt, dass auch Rechte der Grundrechte-Charta als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte gemäß Art 144 B-VG geltend gemacht werden können und sie „im Anwendungsbereich der Grundrechte-Charta“ einen Prüfungsmaßstab im Verfahren der generellen Normenkontrolle, insbesondere nach Art 139 und Art 140 B-VG bilden.
Art 47 Abs 3 GRC bestimmt, dass Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt wird, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.
Nach der Rechtsprechung des EuGH – der sich dabei auf den EGMR bezieht – erfordert der in Art 47 GRC verankerte Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Gewährung der Prozesskostenhilfe eine Beschränkung des Rechtes auf Zugang zu den Gerichten darstellten, die dieses Recht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigten, ob sie einem legitimen Zweck dienten und ob die angewendeten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stünden. Im Rahmen dieser Würdigung könne der Richter den Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Rechtsschutzsuchenden, die Bedeutung des Rechtsstreites für diesen, die Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeiten des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu vertreten.
§ 292 Abs 1 BAO kann im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einzelfall interpretiert werden: Wenngleich der Wortlaut der Vorschrift zunächst nahelegen könnte, dass die Gewährung von Verfahrenshilfe nur zulässig ist, wenn im Verfahren objektiv schwierige Fragen rechtlicher Art zu entscheiden sind, steht er nach Auffassung des VfGH – auch ausgehend davon, dass der Gesetzgeber die Einführung der Verfahrenshilfe für Verfahren vor dem BFG „zur Herstellung einer dem Art 47 GRC entsprechenden Rechtslage“ intendiert hat – einer Anwendung der Bestimmung im Einzelfall nicht entgegen, die den oben dargestellten Kriterien folgt:
Die Wendung „dass zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen“ erfordert und erlaubt eine Prüfung, ob im konkreten Einzelfall für den Antragsteller besondere Schwierigkeiten bestehen. Dabei sind alle Umstände des Falles wie der Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Rechtsschutzsuchenden, die Bedeutung des Rechtsstreites für diesen, die Komplexität des geltenden Rechtes und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeiten des Rechtsschutzsuchenden, sein Anliegen wirksam zu verteidigen, abzuwägen.
Damit schließt § 292 Abs 1 BAO die Gewährung von Verfahrenshilfe im Einzelfall nicht schon deshalb aus, weil objektiv keine komplexe, besonders schwierige Frage rechtlicher Art vorliegt. In verfassungskonformer Auslegung können zum einen auch besondere Schwierigkeiten bei der Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhaltes, also Fragen tatsächlicher Natur, einen Anspruch auf Verfahrenshilfe begründen, zumal Tatsachenfragen regelmäßig in Rechtsfragen münden; und zum anderen sind stets auch die Fähigkeiten des betroffenen Antragstellers zu berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu vertreten.
Schließlich ist, und damit folgt die Regelung auch insoweit den verfassungsrechtlichen Vorgaben, nach § 292 Abs 1 BAO Voraussetzung, dass die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhaltes zu bestreiten und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
(Anlassfall VfGH 26. 6. 2020, E 2851/2018, Aufhebung des angefochtenen Beschlusses).
Entscheidung: VfGH 26. 6. 2020, E 2851/2018.
Norm: § 292 BAO.
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Antrags auf Verfahrenshilfe in einem Verfahren nach der BAO mangels Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten des Antragstellers als besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art.
In verfassungskonformer Auslegung schließt § 292 Abs 1 BAO die Gewährung von Verfahrenshilfe im Einzelfall nicht schon deshalb aus, weil objektiv keine komplexe, besonders schwierige Frage rechtlicher Art vorliegt. In verfassungskonformer Auslegung können zum einen auch besondere Schwierigkeiten bei der Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhaltes, also Fragen tatsächlicher Natur, einen Anspruch auf Verfahrenshilfe begründen, zumal Tatsachenfragen regelmäßig in Rechtsfragen münden; und zum anderen sind stets auch die Fähigkeiten des betroffenen Antragstellers zu berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu vertreten (VfGH 26. 6. 2020, G 302/2019).
Indem das BFG einen Anspruch auf Verfahrenshilfe allein mit dem Hinweis auf die Einfachheit der Rechtsfrage versagt hat, ohne auf die subjektiven Fähigkeiten der Person des Antragstellers einzugehen, hat es der Vorschrift des § 292 BAO einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Dabei ist unerheblich, ob der Sachverhalt im Beschwerdeverfahren in den Anwendungsbereich des Unionsrecht fällt, da der Gesetzgeber die Vorschrift des § 292 BAO im Hinblick auf das Konzept des Art 47 Abs 3 GRC verfassungskonform ausgestaltet hat, nicht aber deren Anwendung auf Fälle eingeschränkt hat, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen.
Entscheidung: VfGH 26. 6. 2020, G 302/2019.
Norm: § 292 BAO.
Keine Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung der BAO betreffend die Einschränkung der Gewährung von Verfahrenshilfe auf Fälle, deren zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen; verfassungskonforme Interpretation der Bestimmung möglich und geboten.
Mit Blick auf Abgabenverfahren, in denen das Recht der Europäischen Union durchzuführen ist, ist zu prüfen, ob § 292 BAO idF BGBl I 2016/117 den Vorgaben des Art 47 GRC – der insoweit mit Art 6 EMRK übereinstimmt – entspricht. Hiebei ist von folgenden Erwägungen auszugehen: Der VfGH hat in VfSlg 19632/2012 ausgeführt, dass auch Rechte der Grundrechte-Charta als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte gemäß Art 144 B-VG geltend gemacht werden können und sie „im Anwendungsbereich der Grundrechte-Charta“ einen Prüfungsmaßstab im Verfahren der generellen Normenkontrolle, insbesondere nach Art 139 und Art 140 B-VG bilden.
Art 47 Abs 3 GRC bestimmt, dass Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt wird, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.
Nach der Rechtsprechung des EuGH – der sich dabei auf den EGMR bezieht – erfordert der in Art 47 GRC verankerte Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Gewährung der Prozesskostenhilfe eine Beschränkung des Rechtes auf Zugang zu den Gerichten darstellten, die dieses Recht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigten, ob sie einem legitimen Zweck dienten und ob die angewendeten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stünden. Im Rahmen dieser Würdigung könne der Richter den Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Rechtsschutzsuchenden, die Bedeutung des Rechtsstreites für diesen, die Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeiten des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu vertreten.
§ 292 Abs 1 BAO kann im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einzelfall interpretiert werden: Wenngleich der Wortlaut der Vorschrift zunächst nahelegen könnte, dass die Gewährung von Verfahrenshilfe nur zulässig ist, wenn im Verfahren objektiv schwierige Fragen rechtlicher Art zu entscheiden sind, steht er nach Auffassung des VfGH – auch ausgehend davon, dass der Gesetzgeber die Einführung der Verfahrenshilfe für Verfahren vor dem BFG „zur Herstellung einer dem Art 47 GRC entsprechenden Rechtslage“ intendiert hat – einer Anwendung der Bestimmung im Einzelfall nicht entgegen, die den oben dargestellten Kriterien folgt:
Die Wendung „dass zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen“ erfordert und erlaubt eine Prüfung, ob im konkreten Einzelfall für den Antragsteller besondere Schwierigkeiten bestehen. Dabei sind alle Umstände des Falles wie der Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Rechtsschutzsuchenden, die Bedeutung des Rechtsstreites für diesen, die Komplexität des geltenden Rechtes und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeiten des Rechtsschutzsuchenden, sein Anliegen wirksam zu verteidigen, abzuwägen.
Damit schließt § 292 Abs 1 BAO die Gewährung von Verfahrenshilfe im Einzelfall nicht schon deshalb aus, weil objektiv keine komplexe, besonders schwierige Frage rechtlicher Art vorliegt. In verfassungskonformer Auslegung können zum einen auch besondere Schwierigkeiten bei der Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhaltes, also Fragen tatsächlicher Natur, einen Anspruch auf Verfahrenshilfe begründen, zumal Tatsachenfragen regelmäßig in Rechtsfragen münden; und zum anderen sind stets auch die Fähigkeiten des betroffenen Antragstellers zu berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu vertreten.
Schließlich ist, und damit folgt die Regelung auch insoweit den verfassungsrechtlichen Vorgaben, nach § 292 Abs 1 BAO Voraussetzung, dass die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhaltes zu bestreiten und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
(Anlassfall VfGH 26. 6. 2020, E 2851/2018, Aufhebung des angefochtenen Beschlusses).