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ViDA in der Praxis | Single VAT Registration – Reverse Charge

(Bild: © iStock/Blablo101)

Petzi Leila  |  Platzer Günther

Pillar 3 des Mehrwertsteuer-Reformpakets ViDA verfolgt das Ziel Registrierungstatbestände in der EU zu minimieren. Um dieses Ziel zu erreichen, sind Änderungen an verschiedenen Stellen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie sowie der Durchführungsverordnung vorgesehen. Zum einen werden die Regelungen zur Umkehr der Steuerschuldnerschaft (Reverse Charge) erweitert, zum anderen wird der Anwendungsbereich des EU-One-Stop-Shop (EU-OSS)-Verfahrens ausgedehnt. Dieser Newsletter beleuchtet die vorgesehenen Änderungen zum Reverse-Charge-Verfahren und veranschaulicht die ab dem 1. Juli 2028 zu erwartenden Auswirkungen anhand von Praxisbeispielen.

Rechtliche Grundlagen

Derzeitige Rechtslage (Artikel 194 RL 2006/112/EG)

Artikel 194 RL 2006/112/EG normiert die Voraussetzungen einer Umkehr der Steuerschuld für Lieferungen und Dienstleistungen von Steuerpflichtigen, die in dem Mitgliedstaat, in dem die Steuer geschuldet wird (= umsatzsteuerlicher Leistungsort), nicht ansässig sind. 

Die aktuell geltende Fassung des Art 194 lautet wie folgt:

(1) Wird die steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen bzw. die steuerpflichtige Dienstleistung von einem Steuerpflichtigen bewirkt, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Person, für die die Lieferung bzw. Dienstleistung bestimmt ist, die Steuer schuldet

(2) Die Mitgliedstaaten legen die Bedingungen für die Anwendung des Absatzes 1 fest.

Hervorzuheben ist, dass es sich bei der derzeit geltenden Vorgabe um eine „Kann-Bestimmung“ handelt. Das bedeutet, den Mitgliedstaaten steht es frei, eine derartige Regelung in nationales Recht zu übernehmen und – falls ja – festzulegen, unter welchen Voraussetzungen die Bestimmung angewendet wird. Daraus ergeben sich unterschiedliche nationale Varianten des Reverse-Charge-Verfahrens, die sich insbesondere in folgenden Punkten unterscheiden:

  • fehlende Umsetzung eines Reverse-Charge-Verfahrens (z. B. Griechenland),
  • persönliche Anwendungsvoraussetzungen auf Seiten des Leistungsempfängers (z. B. geforderte Ansässigkeit),
  • Anwendungsvorrang zwischen Sonder-Reverse-Charge-Verfahren gemäß Art. 199 und Reverse Charge nach Art. 194,
  • Auswirkungen einer bestehenden Mehrwertsteuerregistrierung des nichtansässigen Leistenden,
  • verpflichtende Anwendung vs. freiwillige Anwendung.

Nicht zu verwechseln ist das Reverse-Charge-Verfahren nach Artikel 194 mit dem in Artikel 196 geregelten Reverse-Charge-Verfahren für B2B-Grundregelleistungen (Artikel 44 RL 2006/112/EG). Im Gegensatz zu dem hier behandelten Reverse-Charge-Verfahren ist das Reverse Charge für B2B-Grundregelleistungen in allen Mitgliedstaaten verpflichtend anzuwenden.

Ab 1.7.2028 geltende Rechtslage

Artikel 194 RL 2006/112/EG wird sich ab 1.7.2028 wie folgt ändern:

(1) 
a) Wird die steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen bzw. steuerpflichtige Dienstleistung von einem Steuerpflichtigen bewirkt, der in dem Mitgliedstaat, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird, weder ansässig noch mittels einer individuellen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer gemäß Artikel 214 für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, so schuldet die steuerpflichtige Person, für die die Lieferung bzw. die Dienstleistung bestimmt ist, unbeschadet der Artikel 195 und 196 die Mehrwertsteuer, wenn diese Person in dem Mitgliedstaat bereits für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist

b) Wird die steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen bzw. steuerpflichtige Dienstleistung von einem Steuerpflichtigen erbracht, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird, so können die Mitgliedstaaten darüber hinaus unter den von ihnen festzulegenden Bedingungen vorsehen, dass die Person, für die die Lieferung bzw. Dienstleistung bestimmt ist, die Mehrwertsteuer schuldet. 

(2) Absatz 1 des vorliegenden Artikels gilt nicht für Lieferungen von Gegenständen durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer im Sinne des Artikels 311 Absatz 1 Nummer 5, wenn die Gegenstände gemäß der Sonderregelung nach Titel XII Kapitel 4 Abschnitt 2 dieser Richtlinie der Mehrwertsteuer unterliegen.

Zusammengefasst ergeben sich daraus ab 1.7.2028 hinsichtlich des Reverse Charge Verfahrens folgende Änderungen:

  1. Aus KANN wird MUSS:
    Das Reverse Charge Verfahren für Leistungen ausländischer Unternehmer wird für die Fälle im Sinne der lit a) zu einer „MUSS-Bestimmung“. Jene Länder, die bis dato das Reverse Charge Verfahren nicht umgesetzt haben, müssen ab 1.7.2028 eine, der unionsrechtlichen Vorgaben entsprechende Norm, in ihr nationales Recht aufnehmen. 
     
  2. Anwendungsvoraussetzung Registrierung des Leistungsempfängers
    Die neue Bestimmung schreibt die verpflichtende Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens nur dann vor, wenn der Leistungsempfänger bereits über eine umsatzsteuerliche Registrierung im Mitgliedstaat des steuerbaren Umsatzes verfügt. Nicht registrierte Leistungsempfänger werden daher durch die Bestimmung in lit. a) nicht gezwungen, aufgrund der Übernahme der Steuerschuld eine Registrierung vorzunehmen. In solchen Fällen bleibt der leistende Unternehmer grundsätzlich der Steuerschuldner und benötigt eine Registrierung im betroffenen Mitgliedstaat, außer die Mitgliedstaaten treffen eine andere Regelung aufgrund des Wahlrechts in lit. b) (siehe Punkt 4).
     
  3. „Schädlichkeit“ einer bestehenden Registrierung des Leistenden
    Die verpflichtende Umkehr der Steuerschuld erfolgt gemäß lit. a) nur, wenn der ausländische liefernde/leistende Steuerpflichtige im Mitgliedstaat, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird, nicht bereits über eine UID-Nummer verfügt. Nach lit. b) steht es den Mitgliedstaaten frei, wie sie in Fällen verfahren, in denen der Leistende im betroffenen Mitgliedstaat umsatzsteuerlich registriert ist.
     
  4. Möglichkeit der Erweiterung des Reverse Charge Verfahrens
    Lit. b) eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Anwendungsbereich des Reverse-Charge-Verfahrens zu erweitern. Wie bereits unter Punkt 3 erwähnt, können die Mitgliedstaaten selbst entscheiden, wie sie Fälle handhaben, in denen der Leistende über eine umsatzsteuerliche Registrierung im Mitgliedstaat verfügt, in dem die Steuer geschuldet wird. Darüber haben die Mitgliedstaaten ein Wahlrecht individuell festzulegen, wer in Fällen Steuerschuldner wird, in denen weder der Leistende noch der Leistungsempfänger im betreffenden Mitgliedstaat registriert ist. Die Verpflichtung zur Übernahme der Steuerschuld (einschließlich Registrierungsverpflichtung) kann somit entweder auf den Leistenden oder den Leistungsempfänger übertragen werden.

Praktische Beispiele

Nachfolgend schildern wir Ihnen beispielhaft einige Praxisfälle und stellen dar, inwieweit der neue Art. 194 RL 2006/112/ EG Änderungen oder sogar Verbesserungen mit sich bringt. 

Tatsächliche Reduktion der Registrierungsverpflichtungen

In Österreich steuerbare Lieferung/Montagelieferung eines nicht ansässigen Unternehmers an einen in Österreich umsatzsteuerlich registrierten Leistungsempfänger:

Bis dato umfasste das in § 19 (1) UStG vorgesehene Reverse Charge Verfahren lediglich Werklieferungen und sonstige Leistungen ausländischer Unternehmer. Mit der Umsetzung des neuen Artikel 194 wird der Anwendungsbereich wesentlich erweitert. Erbringt ein nicht in Österreich ansässiges Unternehmen daher ab 1.7.2028 eine in Österreich steuerbare Inlandslieferung an einen in Österreich umsatzsteuerlich registrierten Unternehmer, kommt es künftig zum Übergang der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger. Der ausländische Unternehmer muss sich in derartigen Fällen künftig nicht mehr in Österreich umsatzsteuerlich registrieren lassen

In Belgien steuerbare Grundstücksleistung eines nicht ansässigen Unternehmers an einen in Belgien umsatzsteuerlich registrierten Leistungsempfänger:

Aktuell sieht das belgische Reverse Charge Verfahren als Anwendungsvoraussetzung vor, dass der Leistungsempfänger in Belgien ansässig sein muss. Ab 1.7.2028 wird es ausreichen, wenn der Leistungsempfänger über einen umsatzsteuerliche Registrierung in Belgien verfügt. Erbringt ein nicht in Belgien ansässiges Unternehmen künftig eine in Belgien steuerbare Grundstücksleistung an einen registrierten Leistungsempfänger, kommt es zum Übergang der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger. Der ausländische Unternehmer muss sich in derartigen Fällen nicht mehr in Belgien umsatzsteuerlich registrieren lassen. 

Mitgliedstaaten spezifische Lösungen

Ein in MS A ansässiges Unternehmen verfügt über eine umsatzsteuerliche Registrierung in MS B. Das Unternehmen erbring eine in MS B steuerbare Lieferung an einen registrierten Leistungsempfänger.

In derartigen Fällen werden die Anwendungsvoraussetzungen des Art 194 (1) a) RL 2006/112/EG nicht erfüllt, da das leistende Unternehmen über eine umsatzsteuerliche Registrierung in MS B verfügt. In Abhängigkeit von der individuellen Ausgestaltung der Norm in den Mitgliedstaaten wird es entweder zur Anwendung des Reverse Charge Verfahrens kommen, oder die Registrierung des Leistenden als schädlich für die Anwendung des Reverse Charge Verfahrens angesehen werden, sodass die Abrechnung zzgl. lokaler USt erfolgen muss.

Ein in MS A ansässiges Unternehmen erbringt an ein in MS B ansässiges Unternehmen eine Montagelieferung, welche in MS C steuerbar ist. Weder Leistender noch Leistungsempfänger verfügten über eine umsatzsteuerliche Registrierung in MS C.

In solchen Fällen werden die Anwendungsvoraussetzungen des Art 194 (1) a) RL 2006/112/EG nicht erfüllt, da der Leistungsempfänger in MS C nicht über eine umsatzsteuerliche Registrierung verfügt. In Abhängigkeit von der länderspezifischen Umsetzung des Art 194 (1) b) RL 2006/112/EG bleibt entweder das leistende Unternehmen Schuldner der Umsatzsteuer in MS C und wird sich dort umsatzsteuerlich erfassen lassen müssen oder der Leistungsempfänger wird zur Übernahme der Steuerschuld verpflichtet und hat seinerseits eine Registrierungspflicht. 

Ein in MS A ansässiges Unternehmen erbringt an ein in MS B ansässiges Unternehmen eine Grundstücksleistung, welche in MS C steuerbar ist. Weder Leistender noch Leistungsempfänger verfügten über eine umsatzsteuerliche Registrierung in MS C. Die erbrachte Dienstleistung wird in MS C als Bauleistung gewertet und das Umsatzsteuerrecht von MS C sieht ein Reverse Charge Verfahren für Bauleistungen vor.

In solchen Fällen werden die Anwendungsvoraussetzungen des Art 194 (1) a) RL 2006/112/EG nicht erfüllt, da der Leistungsempfänger in MS C nicht über eine umsatzsteuerliche Registrierung verfügt. Zu prüfen gilt es allerdings die individuelle Umsetzung des Art 194 (1) b RL 2006/112/EG und dessen Zusammenspiel mit dem bereits umgesetzten Bauleistungs- Reverse Charge Verfahren gemäß Art 199 RL 2006/112/EG. Prüfungsrelevant sind die individuellen Anwendungsvoraussetzungen des Bauleistungs- Reverse Charge Verfahrens sowie der zwischen Allgemeinem Reverse Charge und Bauleistungs- Reverse Charge normierte Vorrang.

FAZIT

Durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Reverse Charge Verfahrens nach Artikel 194 werden Registrierungstatbestände reduziert. Zwar bedeutet dies nicht die gänzliche Vermeidung von umsatzsteuerlichen Registrierungen im Ausland, aber die Notwendigkeit wird deutlich eingeschränkt. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass die weiterhin bestehenden Wahlrechte, bei der Umsetzung des Allgemeinen Reverse Charge Verfahrens, die derzeit bestehenden Unterschiede in den einzelnen Mitgliedstaaten künftig nur eingeschränkt minimieren werden. Mit welchen weiteren Maßnahmen im Rahmen von Pillar 3 künftig Registrierungstatbestände reduziert werden sollen, schildern wir Ihnen in unserem nächsten Newsletter-Beitrag aus unserer ViDA Serie. 

Für Rückfragen zu diesen neuen Herausforderungen für die Umsatzsteuerpraxis stehen Ihnen die Verfasser sowie auch die übrigen Ansprechpartner der Service Line „Indirect Tax & Customs“ gerne zur Verfügung!


Autoren

Petzi Leila

Platzer Günther

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