Sabine Barbara Kanduth-Kristen ist seit 1. 7. 2012 Universitätsprofessorin an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und stellvertretende Vorständin des Instituts für Finanzmanagement. Sie ist Mitglied des Fachsenats für Steuerrecht der Kammer der Wirtschaftstreuhänder. Im Zuge des 18. SWK-Steuerrechtstages baten wir sie zum Interview.
BFGjournal: Am SWK-Tag haben Sie, gemeinsam mit Dr. Andrei Bodis, der im November 2017 im BFGjournal „zu Gast“ war, ua zu den Problemen bei Grundstücksveräußerungen (ImmoESt) referiert. Können Sie das Thema bzw die besonderen Probleme für unsere Leserinnen und Leser nochmals skizzieren? Ihr Co-Referent hat die beiden VwGH-Erkenntnisse zur Hauptwohnsitzbefreiung und zur Grundstücksgröße jedenfalls insofern kritisch gesehen, als sich dadurch eher Fragen aufgetan als Lösungen gefunden haben.
Sabine Kanduth-Kristen: In beiden Erkenntnissen ging es um die Hauptwohnsitzbefreiung: einmal um die Frage, in welcher Größenordnung Grund und Boden bei der Veräußerung eines Eigenheims von der Befreiung mitumfasst ist, im anderen Fall um die Frage, innerhalb welcher Frist nach der Veräußerung der bisherige Hauptwohnsitz aufgegeben werden muss. Ich stimme dem Befund von Dr. Bodis, der sich wohl primär auf das Erkenntnis zur Grundstücksgröße bezog, voll und ganz zu. Der VwGH stellt für die Befreiung von Grund und Boden auf die „üblicherweise als Bauplatz erforderliche“ Grundstücksgröße ab. Konkrete Hinweise zur Bestimmung dieser Grundstücksgröße fehlen im Erkenntnis, Streitigkeiten zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen sind so vorprogrammiert. Schwierig zu lösen erscheint mir zudem die daraus folgende Notwendigkeit einer Zuordnung des Kaufpreises auf befreite und nicht befreite Teile einer Liegenschaft.
Die Finanzverwaltung wird nach dem Entwurf zum EStR-Wartungserlass 2017 an der schon bisher in Rz 6634 vorgesehenen 1.000 m 2-Regelung festhalten, das ist aus meiner Sicht zu begrüßen. Betreffend die Toleranzfrist iZm der Hauptwohnsitzbefreiung, dh die Frage, innerhalb welcher Frist der bisherige Hauptwohnsitz aufgegeben werden muss, ist positiv, dass der VwGH die Fristen für die Aufgabe des Hauptwohnsitzes nicht starr sieht, wenn bei der Veräußerung die Absicht, den Hauptwohnsitz zu wechseln, bereits feststeht. Die EStR gehen in Rz 6643 in der derzeit noch geltenden Fassung hingegen von einer (starren) Toleranzfrist von einem Jahr aus. Mit dem Wartungserlass 2017 soll der Rechtsprechung des VwGH Rechnung getragen und nicht mehr starr auf ein Jahr abgestellt werden.
BFGjournal: Nun eine Frage zur Umsatzsteuer: Nach § 6 Abs 2 UStG besteht iZm der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken nur dann die Möglichkeit, auf die Steuerbefreiung zu verzichten, soweit der Mieter das Grundstück „nahezu ausschließlich“ für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Überdies muss der Vermieter diese Voraussetzung nachweisen. Wie sehen Sie diese Bestimmung?
Sabine Kanduth-Kristen: Schon bei Einführung der Bestimmung habe ich mich gemeinsam mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kritisch dazu geäußert. Die Regelung hat viele Auslegungsfragen mit sich gebracht (wozu auch mehrere BMF-Informationen ergangen sind), wie etwa die Frage, was ein „baulich abgeschlossener, selbständiger Teil des Grundstücks“ ist, für den die Option ausgeübt werden kann, und wie die „nahezu ausschließliche“ Verwendung durch den Leistungsempfänger für Umsätze, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, zu definieren ist. Auch die Übergangsregelungen (§ 28 Abs 38 Z 1 UStG) sind höchst komplex – unklar ist etwa, was als „Beginn der Errichtung“ zu sehen ist und wie Mieter- oder Vermieterwechsel zu behandeln sind – und haben den VwGH bereits beschäftigt. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit dem AbgÄG 2016 korrigierend eingegriffen und kurzfristige Vermietungen unter bestimmten Voraussetzungen von der Befreiung des § 6 Abs 1 Z 16 UStG ausgenommen. Mit Blick auf die nachteiligen Konsequenzen auf Vermieter- und auf Mieterseite bei falscher Einordnung und auf die Haftungsrisiken für die Beraterpraxis sehe ich die Regelung fünf Jahre nach ihrer Einführung weiterhin kritisch.
Im Kontext des Zuzugsfreibetrags für WissenschaftlerInnen ist schon die Begründung eines inländischen Wohnsitzes nach dem Telos der Norm als Zuzug zu werten.
BFGjournal: Kommen wir zu einem anderen Thema. Kürzlich haben Sie einen Beitrag in der SWI gemeinsam mit Andreas Kampitsch zum Zuzug als Voraussetzung für eine Begünstigung nach § 103 Abs 1a EStG geschrieben. In einer BFG-Entscheidung ging es darum, ob die Gewährung einer Zuzugsbegünstigung lediglich an die Begründung eines inländischen Wohnsitzes oder generell an die Verlegung des Mittelpunktes der Lebensinteressen nach Österreich geknüpft, also ein „Zuzug ohne Wegzug“ möglich ist. Der auch bei der SWI-Jahrestagung 2017 thematisierte Fall liegt nun beim VwGH. Würden Sie das Thema für uns erläutern?
Sabine Kanduth-Kristen: Ich denke, schon die Formulierung der Frage weist darauf hin, dass es hier Missverständnisse geben könnte. Der Zuzugsfreibetrag zielt darauf ab, im Wettbewerb um die besten Köpfe Anreize für ausländische Wissenschaftler für einen „Zuzug“ nach Österreich zu setzen. Fraglich ist nun, ob für den „Zuzug“ eines Wissenschaftlers aus dem Ausland die Begründung eines Wohnsitzes im Inland iVm dem Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht „ausreicht“ oder ob zudem die Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen (dh der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen) in das Inland erforderlich ist. Wir sind in unserem Beitrag zum Schluss gekommen, dass im Kontext des Zuzugsfreibetrags für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon die Begründung eines inländischen Wohnsitzes nach dem Telos der Norm als Zuzug zu werten ist. Schließlich geht es darum, dass der Gesetzgeber das (wissenschaftliche) Tätigwerden im Inland – und zwar unmittelbar bei Aufnahme der Tätigkeit – begünstigen möchte.
Dr. Sabine Kanduth-Kristen ist Mitglied des Fachsenats für Steuerrecht der Kammer der Wirtschaftstreuhänder und allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für die Fachgruppe Steuer- und Rechnungswesen.
Die Maßgeblichkeit der Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nach Österreich wird aus der „Rückverlegungsklausel“ des § 103 Abs 2 EStG abgeleitet, wonach Abs 1 und Abs 1a auf Personen, die den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen aus Österreich wegverlegt haben, nur dann anzuwenden sind, wenn zwischen diesem Wegzug und dem Zuzug eine bestimmte Zeitspanne verstrichen ist. Sinn dieser Norm war es allerdings, trotz Weiterbestehens eines inländischen Wohnsitzes nach dem Wegzug durch Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen einen (neuerlichen) Zuzug zu ermöglichen. Sowohl in historischer als auch teleologischer Interpretation erscheint uns der Schluss, dass zusätzlich die Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen maßgeblich sein soll, unzutreffend. Führt die Begründung eines inländischen Wohnsitzes zum Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht, sind uE die Voraussetzungen für einen Zuzug unabhängig von der Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen erfüllt. Es geht also nicht darum, dass ein „Zuzug ohne Wegzug“ möglich ist, sondern vielmehr darum, dass ein Zuzug durch Begründung eines inländischen Wohnsitzes möglich ist, wenn zuvor kein (steuerlicher) Berührungspunkt mit Österreich gegeben war.
Bei der Kommentierung einer BFG-Entscheidung kann auch die Überlegung eine Rolle spielen, im Vorfeld eines VwGH-Erkenntnisses Argumente zu liefern.
BFGjournal: In diesem Beschwerdefall wurde im laufenden Verfahren ein dem Rechtsstandpunkt des Beschwerdeführers stützender literarischer Beitrag zum konkreten Fall verfasst, auf den dann im Rechtsmittelverfahren als Aussage in der Literatur hingewiesen wurde. Sehen Sie derartige, offenbar gezielt, gleichsam „auf Bestellung“ getätigte literarische Äußerungen generell in der wissenschaftlichen Freiheit gedeckt, oder könnten diese am Ende des Tages auch als Beeinflussungsmöglichkeit des erkennenden Richters gedeutet werden?
Sabine Kanduth-Kristen: Ich denke, es liegt in der Freiheit eines jeden (ob Wissenschaftler oder Praktiker), seine Ansicht in der Fachliteratur kundzutun. Verwahren möchte ich mich gegen die Formulierung einer „literarischen Äußerung auf Bestellung“, weil da latent die Unterstellung mitschwingt, dass die vertretene Meinung bloß im Interesse eines Auftraggebers in dieser Art und Weise vertreten wird. Bei der Kommentierung einer BFG-Entscheidung kann auch die Überlegung eine Rolle spielen, im Vorfeld eines VwGH-Erkenntnisses Argumente zu liefern, die das Höchstgericht in seine Erwägungen einfließen lassen kann, wenn es sie für geeignet hält. Gleiches gilt für Beiträge (diesfalls wohl nur von Personen, die mit dem Fall befasst waren) im Vorfeld von BFG-Entscheidungen. Ich sehe darin keine Beeinflussung – schließlich entscheiden unabhängige Richter.
Als für Personalagenden zuständige Prodekanin der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften habe ich auch aus diesem Grund Interesse an einer baldigen Klärung der Frage des Zuzugsfreibetrags
Im Zuge der Auseinandersetzung mit der BFG-Entscheidung zum Zuzugsfreibetrag war es etwa unser Bestreben, einer Auslegung entgegenzutreten, die wir mit Blick auf die historische Entwicklung der Norm und ihre Zielsetzung nicht für gerechtfertigt halten. Neben dem fachlichen Interesse an der Materie war ein weiterer Grund, dass es an den Universitäten seit Inkrafttreten der Bestimmung nicht nur diesen einen potenziellen Zuzugsfall gegeben hat. An der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt gibt es zB bereits ähnliche Fälle. Als für Personalagenden zuständige Prodekanin der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften habe ich auch aus diesem Grund Interesse an einer baldigen Klärung der Frage, weil sie für die Attraktivität der österreichischen Universitäten als Arbeitgeberinnen eine große Rolle spielt. Das BMF möchte sich bedauerlicherweise noch vor Ergehen der Entscheidung des VwGH der Ansicht des BFG anschließen, darauf lässt zumindest Rz 8201a des Entwurfs zum EStR-Wartungserlass 2017 schließen. Unsere Argumente wurden vorerst also nicht gehört.
BFGjournal: Sie sind Universitätsprofessorin und Steuerberaterin, sind aber in keiner Kanzlei unmittelbar tätig. Bevorzugen Sie das wissenschaftliche Arbeiten, bzw geht Ihnen die unmittelbare Arbeit mit Klienten ab?
Sabine Kanduth-Kristen: Ich habe nach dem Studium die Berufsanwärterzeiten in einer Steuerberatungskanzlei absolviert und teilweise parallel als Universitätsassistentin und als Berufsanwärterin gearbeitet. Damals (wie heute) war nicht absehbar, ob eine Karriere im wissenschaftlichen Bereich möglich sein würde (zum damaligen Zeitpunkt waren die Universitäten zudem mit rigiden Sparplänen und Aufnahmestopps konfrontiert). Daher war der Erwerb der Berufsbefugnis als Steuerberaterin jedenfalls ein Ziel, um den beruflichen Weg „abzusichern“. Schon damals schlug mein Herz aber mehr für die Wissenschaft. Dass sich die Möglichkeit ergeben hat, den wissenschaftlichen Weg tatsächlich weiterzuverfolgen, war ein großes Glück.
BFGjournal: Sie haben mehrfach bereits zu verschiedenen Aspekten der optimalen Rechtsformwahl von Unternehmen publiziert. Welche Rechtsform würden Sie ganz generell gesagt einem sogenannten „Start-up-Unternehmen“ empfehlen?
Sabine Kanduth-Kristen: Eine generelle Empfehlung wäre unseriös, da es immer auf den konkreten Fall und die Zielsetzungen des Unternehmens ankommt. Ich beschäftige mich mit der „optimalen“ Rechtsform vorwiegend aus steuerlicher Sicht, die Besteuerung ist aber nur eines von vielen Kriterien der Rechtsformwahl. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist etwa die Haftung, weswegen sich bei Start-up-Unternehmen vielfach die Rechtsform der GmbH empfiehlt. Aus steuerlicher Sicht lässt sich sagen, dass die Steuerreform 2015/2016 durch die Verschiebung des Tarifgefüges (Absenkung des Einkommensteuertarifs und Anhebung der Kapitalertragsteuer für Dividenden) Personenunternehmen im Vergleich zu Kapitalgesellschaften wieder attraktiver gemacht hat, insbesondere in der „Startphase“, in der mit geringeren Gewinnen oder sogar mit Anlaufverlusten zu rechnen ist.
BFGjournal: Abschließend noch eine Frage zum Jakom: Sie sind von Anfang an als Autorin dabei. 2017 erschien bereits die 10. Auflage. Wie hat sich der Kommentar entwickelt? Wie viel Aufwand bedeutet so ein Jahreskommentar, zumal Sie auch an anderen Kommentaren mitschreiben, einen Hauptberuf haben und so ganz „nebenbei“ auch Mutter sind? Mit welchen Gefühlen sehen Sie insoweit das – seit bereits längerer Zeit – angekündigte neue EStG in Bezug auf die Aktualisierung des Jakom?
Sabine Kanduth-Kristen: Wir sind als Autorenteam gemeinsam mit dem Linde Verlag sehr stolz darauf, dass der Kommentar in Österreich so gut Fuß gefasst hat und wir 2018 mit der 11. Auflage (bezogen auf die Geburtsstunde mit dem Erscheinen der 1. Auflage) unser zehnjähriges Jubiläum feiern dürfen. Der Aufwand für die jährliche Überarbeitung hängt natürlich eng mit den Aktivitäten in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung zusammen. Für heuer hält er sich in Grenzen, in anderen Jahren (etwa anlässlich der Einführung der ImmoESt) war er wesentlich höher. Die Materialsammlung erfolgt laufend, in jedem Jahr sind dann die Monate November bis Mitte Januar jedenfalls schwerpunktmäßig dem Jakom gewidmet, dazu kommt noch die Fahnenkorrektur im Februar. Einer Neukodifizierung des EStG sehe ich dementsprechend vor dem Hintergrund des Überarbeitungsaufwands mit gemischten Gefühlen entgegen. Eine Bereinigung des EStG wäre allerdings mehr als wünschenswert. Schön wäre aus „optischen“ Gründen ein EStG 2018 gewesen, nach dem Motto: 30 years after.
1) Mein Ziel für heuer ist (beruflich oder privat) …
… (angesichts des nahenden Jahresendes) die Überarbeitung des Jakom vor dem Weihnachtsurlaub abgeschlossen zu haben, allerdings bleibt dies meistens ein unerfüllter Wunsch.
2) Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
„The Girl Before“ von JP Delaney und davor „Into the Water“ von Paula Hawkins.
3) Das größte Vergnügen für mich ist …
… mit meiner Familie und mit Freunden entspannende Tage im Schlosshotel Seewirt auf der Turrach zu verbringen.
4) Welche Persönlichkeit würden Sie gerne näher kennenlernen?
Ich habe mich das anlässlich der Lektüre der bisher im BFGjournal erschienenen Interviews (die ich als Leserin natürlich regelmäßig mitverfolge) schon öfters gefragt und festgestellt, dass ich da in Bezug auf allgemein bekannte Persönlichkeiten keine besonderen Vorstellungen oder Bedürfnisse habe. Gerne hätte ich allerdings meine Großväter kennengelernt, die beide bereits vor meiner Geburt verstorben sind.
5) Nach der Arbeit …
… steht für einige Stunden die Familie im Vordergrund, bevor es mich bis kurz vor Mitternacht zurück an den Computer oder den Laptop zieht.
Sabine Barbara Kanduth-Kristen ist seit 1. 7. 2012 Universitätsprofessorin an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und stellvertretende Vorständin des Instituts für Finanzmanagement. Sie ist Mitglied des Fachsenats für Steuerrecht der Kammer der Wirtschaftstreuhänder. Im Zuge des 18. SWK-Steuerrechtstages baten wir sie zum Interview.
BFGjournal: Am SWK-Tag haben Sie, gemeinsam mit Dr. Andrei Bodis, der im November 2017 im BFGjournal „zu Gast“ war, ua zu den Problemen bei Grundstücksveräußerungen (ImmoESt) referiert. Können Sie das Thema bzw die besonderen Probleme für unsere Leserinnen und Leser nochmals skizzieren? Ihr Co-Referent hat die beiden VwGH-Erkenntnisse zur Hauptwohnsitzbefreiung und zur Grundstücksgröße jedenfalls insofern kritisch gesehen, als sich dadurch eher Fragen aufgetan als Lösungen gefunden haben.
Sabine Kanduth-Kristen: In beiden Erkenntnissen ging es um die Hauptwohnsitzbefreiung: einmal um die Frage, in welcher Größenordnung Grund und Boden bei der Veräußerung eines Eigenheims von der Befreiung mitumfasst ist, im anderen Fall um die Frage, innerhalb welcher Frist nach der Veräußerung der bisherige Hauptwohnsitz aufgegeben werden muss. Ich stimme dem Befund von Dr. Bodis, der sich wohl primär auf das Erkenntnis zur Grundstücksgröße bezog, voll und ganz zu. Der VwGH stellt für die Befreiung von Grund und Boden auf die „üblicherweise als Bauplatz erforderliche“ Grundstücksgröße ab. Konkrete Hinweise zur Bestimmung dieser Grundstücksgröße fehlen im Erkenntnis, Streitigkeiten zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen sind so vorprogrammiert. Schwierig zu lösen erscheint mir zudem die daraus folgende Notwendigkeit einer Zuordnung des Kaufpreises auf befreite und nicht befreite Teile einer Liegenschaft.
Die Finanzverwaltung wird nach dem Entwurf zum EStR-Wartungserlass 2017 an der schon bisher in Rz 6634 vorgesehenen 1.000 m 2-Regelung festhalten, das ist aus meiner Sicht zu begrüßen. Betreffend die Toleranzfrist iZm der Hauptwohnsitzbefreiung, dh die Frage, innerhalb welcher Frist der bisherige Hauptwohnsitz aufgegeben werden muss, ist positiv, dass der VwGH die Fristen für die Aufgabe des Hauptwohnsitzes nicht starr sieht, wenn bei der Veräußerung die Absicht, den Hauptwohnsitz zu wechseln, bereits feststeht. Die EStR gehen in Rz 6643 in der derzeit noch geltenden Fassung hingegen von einer (starren) Toleranzfrist von einem Jahr aus. Mit dem Wartungserlass 2017 soll der Rechtsprechung des VwGH Rechnung getragen und nicht mehr starr auf ein Jahr abgestellt werden.
BFGjournal: Nun eine Frage zur Umsatzsteuer: Nach § 6 Abs 2 UStG besteht iZm der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken nur dann die Möglichkeit, auf die Steuerbefreiung zu verzichten, soweit der Mieter das Grundstück „nahezu ausschließlich“ für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Überdies muss der Vermieter diese Voraussetzung nachweisen. Wie sehen Sie diese Bestimmung?
Sabine Kanduth-Kristen: Schon bei Einführung der Bestimmung habe ich mich gemeinsam mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kritisch dazu geäußert. Die Regelung hat viele Auslegungsfragen mit sich gebracht (wozu auch mehrere BMF-Informationen ergangen sind), wie etwa die Frage, was ein „baulich abgeschlossener, selbständiger Teil des Grundstücks“ ist, für den die Option ausgeübt werden kann, und wie die „nahezu ausschließliche“ Verwendung durch den Leistungsempfänger für Umsätze, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, zu definieren ist. Auch die Übergangsregelungen (§ 28 Abs 38 Z 1 UStG) sind höchst komplex – unklar ist etwa, was als „Beginn der Errichtung“ zu sehen ist und wie Mieter- oder Vermieterwechsel zu behandeln sind – und haben den VwGH bereits beschäftigt. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit dem AbgÄG 2016 korrigierend eingegriffen und kurzfristige Vermietungen unter bestimmten Voraussetzungen von der Befreiung des § 6 Abs 1 Z 16 UStG ausgenommen. Mit Blick auf die nachteiligen Konsequenzen auf Vermieter- und auf Mieterseite bei falscher Einordnung und auf die Haftungsrisiken für die Beraterpraxis sehe ich die Regelung fünf Jahre nach ihrer Einführung weiterhin kritisch.
Im Kontext des Zuzugsfreibetrags für WissenschaftlerInnen ist schon die Begründung eines inländischen Wohnsitzes nach dem Telos der Norm als Zuzug zu werten.
BFGjournal: Kommen wir zu einem anderen Thema. Kürzlich haben Sie einen Beitrag in der SWI gemeinsam mit Andreas Kampitsch zum Zuzug als Voraussetzung für eine Begünstigung nach § 103 Abs 1a EStG geschrieben. In einer BFG-Entscheidung ging es darum, ob die Gewährung einer Zuzugsbegünstigung lediglich an die Begründung eines inländischen Wohnsitzes oder generell an die Verlegung des Mittelpunktes der Lebensinteressen nach Österreich geknüpft, also ein „Zuzug ohne Wegzug“ möglich ist. Der auch bei der SWI-Jahrestagung 2017 thematisierte Fall liegt nun beim VwGH. Würden Sie das Thema für uns erläutern?
Sabine Kanduth-Kristen: Ich denke, schon die Formulierung der Frage weist darauf hin, dass es hier Missverständnisse geben könnte. Der Zuzugsfreibetrag zielt darauf ab, im Wettbewerb um die besten Köpfe Anreize für ausländische Wissenschaftler für einen „Zuzug“ nach Österreich zu setzen. Fraglich ist nun, ob für den „Zuzug“ eines Wissenschaftlers aus dem Ausland die Begründung eines Wohnsitzes im Inland iVm dem Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht „ausreicht“ oder ob zudem die Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen (dh der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen) in das Inland erforderlich ist. Wir sind in unserem Beitrag zum Schluss gekommen, dass im Kontext des Zuzugsfreibetrags für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon die Begründung eines inländischen Wohnsitzes nach dem Telos der Norm als Zuzug zu werten ist. Schließlich geht es darum, dass der Gesetzgeber das (wissenschaftliche) Tätigwerden im Inland – und zwar unmittelbar bei Aufnahme der Tätigkeit – begünstigen möchte.
Dr. Sabine Kanduth-Kristen ist Mitglied des Fachsenats für Steuerrecht der Kammer der Wirtschaftstreuhänder und allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für die Fachgruppe Steuer- und Rechnungswesen.
Die Maßgeblichkeit der Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nach Österreich wird aus der „Rückverlegungsklausel“ des § 103 Abs 2 EStG abgeleitet, wonach Abs 1 und Abs 1a auf Personen, die den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen aus Österreich wegverlegt haben, nur dann anzuwenden sind, wenn zwischen diesem Wegzug und dem Zuzug eine bestimmte Zeitspanne verstrichen ist. Sinn dieser Norm war es allerdings, trotz Weiterbestehens eines inländischen Wohnsitzes nach dem Wegzug durch Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen einen (neuerlichen) Zuzug zu ermöglichen. Sowohl in historischer als auch teleologischer Interpretation erscheint uns der Schluss, dass zusätzlich die Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen maßgeblich sein soll, unzutreffend. Führt die Begründung eines inländischen Wohnsitzes zum Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht, sind uE die Voraussetzungen für einen Zuzug unabhängig von der Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen erfüllt. Es geht also nicht darum, dass ein „Zuzug ohne Wegzug“ möglich ist, sondern vielmehr darum, dass ein Zuzug durch Begründung eines inländischen Wohnsitzes möglich ist, wenn zuvor kein (steuerlicher) Berührungspunkt mit Österreich gegeben war.
Bei der Kommentierung einer BFG-Entscheidung kann auch die Überlegung eine Rolle spielen, im Vorfeld eines VwGH-Erkenntnisses Argumente zu liefern.
BFGjournal: In diesem Beschwerdefall wurde im laufenden Verfahren ein dem Rechtsstandpunkt des Beschwerdeführers stützender literarischer Beitrag zum konkreten Fall verfasst, auf den dann im Rechtsmittelverfahren als Aussage in der Literatur hingewiesen wurde. Sehen Sie derartige, offenbar gezielt, gleichsam „auf Bestellung“ getätigte literarische Äußerungen generell in der wissenschaftlichen Freiheit gedeckt, oder könnten diese am Ende des Tages auch als Beeinflussungsmöglichkeit des erkennenden Richters gedeutet werden?
Sabine Kanduth-Kristen: Ich denke, es liegt in der Freiheit eines jeden (ob Wissenschaftler oder Praktiker), seine Ansicht in der Fachliteratur kundzutun. Verwahren möchte ich mich gegen die Formulierung einer „literarischen Äußerung auf Bestellung“, weil da latent die Unterstellung mitschwingt, dass die vertretene Meinung bloß im Interesse eines Auftraggebers in dieser Art und Weise vertreten wird. Bei der Kommentierung einer BFG-Entscheidung kann auch die Überlegung eine Rolle spielen, im Vorfeld eines VwGH-Erkenntnisses Argumente zu liefern, die das Höchstgericht in seine Erwägungen einfließen lassen kann, wenn es sie für geeignet hält. Gleiches gilt für Beiträge (diesfalls wohl nur von Personen, die mit dem Fall befasst waren) im Vorfeld von BFG-Entscheidungen. Ich sehe darin keine Beeinflussung – schließlich entscheiden unabhängige Richter.
Als für Personalagenden zuständige Prodekanin der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften habe ich auch aus diesem Grund Interesse an einer baldigen Klärung der Frage des Zuzugsfreibetrags
Im Zuge der Auseinandersetzung mit der BFG-Entscheidung zum Zuzugsfreibetrag war es etwa unser Bestreben, einer Auslegung entgegenzutreten, die wir mit Blick auf die historische Entwicklung der Norm und ihre Zielsetzung nicht für gerechtfertigt halten. Neben dem fachlichen Interesse an der Materie war ein weiterer Grund, dass es an den Universitäten seit Inkrafttreten der Bestimmung nicht nur diesen einen potenziellen Zuzugsfall gegeben hat. An der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt gibt es zB bereits ähnliche Fälle. Als für Personalagenden zuständige Prodekanin der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften habe ich auch aus diesem Grund Interesse an einer baldigen Klärung der Frage, weil sie für die Attraktivität der österreichischen Universitäten als Arbeitgeberinnen eine große Rolle spielt. Das BMF möchte sich bedauerlicherweise noch vor Ergehen der Entscheidung des VwGH der Ansicht des BFG anschließen, darauf lässt zumindest Rz 8201a des Entwurfs zum EStR-Wartungserlass 2017 schließen. Unsere Argumente wurden vorerst also nicht gehört.
BFGjournal: Sie sind Universitätsprofessorin und Steuerberaterin, sind aber in keiner Kanzlei unmittelbar tätig. Bevorzugen Sie das wissenschaftliche Arbeiten, bzw geht Ihnen die unmittelbare Arbeit mit Klienten ab?
Sabine Kanduth-Kristen: Ich habe nach dem Studium die Berufsanwärterzeiten in einer Steuerberatungskanzlei absolviert und teilweise parallel als Universitätsassistentin und als Berufsanwärterin gearbeitet. Damals (wie heute) war nicht absehbar, ob eine Karriere im wissenschaftlichen Bereich möglich sein würde (zum damaligen Zeitpunkt waren die Universitäten zudem mit rigiden Sparplänen und Aufnahmestopps konfrontiert). Daher war der Erwerb der Berufsbefugnis als Steuerberaterin jedenfalls ein Ziel, um den beruflichen Weg „abzusichern“. Schon damals schlug mein Herz aber mehr für die Wissenschaft. Dass sich die Möglichkeit ergeben hat, den wissenschaftlichen Weg tatsächlich weiterzuverfolgen, war ein großes Glück.
BFGjournal: Sie haben mehrfach bereits zu verschiedenen Aspekten der optimalen Rechtsformwahl von Unternehmen publiziert. Welche Rechtsform würden Sie ganz generell gesagt einem sogenannten „Start-up-Unternehmen“ empfehlen?
Sabine Kanduth-Kristen: Eine generelle Empfehlung wäre unseriös, da es immer auf den konkreten Fall und die Zielsetzungen des Unternehmens ankommt. Ich beschäftige mich mit der „optimalen“ Rechtsform vorwiegend aus steuerlicher Sicht, die Besteuerung ist aber nur eines von vielen Kriterien der Rechtsformwahl. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist etwa die Haftung, weswegen sich bei Start-up-Unternehmen vielfach die Rechtsform der GmbH empfiehlt. Aus steuerlicher Sicht lässt sich sagen, dass die Steuerreform 2015/2016 durch die Verschiebung des Tarifgefüges (Absenkung des Einkommensteuertarifs und Anhebung der Kapitalertragsteuer für Dividenden) Personenunternehmen im Vergleich zu Kapitalgesellschaften wieder attraktiver gemacht hat, insbesondere in der „Startphase“, in der mit geringeren Gewinnen oder sogar mit Anlaufverlusten zu rechnen ist.
BFGjournal: Abschließend noch eine Frage zum Jakom: Sie sind von Anfang an als Autorin dabei. 2017 erschien bereits die 10. Auflage. Wie hat sich der Kommentar entwickelt? Wie viel Aufwand bedeutet so ein Jahreskommentar, zumal Sie auch an anderen Kommentaren mitschreiben, einen Hauptberuf haben und so ganz „nebenbei“ auch Mutter sind? Mit welchen Gefühlen sehen Sie insoweit das – seit bereits längerer Zeit – angekündigte neue EStG in Bezug auf die Aktualisierung des Jakom?
Sabine Kanduth-Kristen: Wir sind als Autorenteam gemeinsam mit dem Linde Verlag sehr stolz darauf, dass der Kommentar in Österreich so gut Fuß gefasst hat und wir 2018 mit der 11. Auflage (bezogen auf die Geburtsstunde mit dem Erscheinen der 1. Auflage) unser zehnjähriges Jubiläum feiern dürfen. Der Aufwand für die jährliche Überarbeitung hängt natürlich eng mit den Aktivitäten in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung zusammen. Für heuer hält er sich in Grenzen, in anderen Jahren (etwa anlässlich der Einführung der ImmoESt) war er wesentlich höher. Die Materialsammlung erfolgt laufend, in jedem Jahr sind dann die Monate November bis Mitte Januar jedenfalls schwerpunktmäßig dem Jakom gewidmet, dazu kommt noch die Fahnenkorrektur im Februar. Einer Neukodifizierung des EStG sehe ich dementsprechend vor dem Hintergrund des Überarbeitungsaufwands mit gemischten Gefühlen entgegen. Eine Bereinigung des EStG wäre allerdings mehr als wünschenswert. Schön wäre aus „optischen“ Gründen ein EStG 2018 gewesen, nach dem Motto: 30 years after.
1) Mein Ziel für heuer ist (beruflich oder privat) …
… (angesichts des nahenden Jahresendes) die Überarbeitung des Jakom vor dem Weihnachtsurlaub abgeschlossen zu haben, allerdings bleibt dies meistens ein unerfüllter Wunsch.
2) Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
„The Girl Before“ von JP Delaney und davor „Into the Water“ von Paula Hawkins.
3) Das größte Vergnügen für mich ist …
… mit meiner Familie und mit Freunden entspannende Tage im Schlosshotel Seewirt auf der Turrach zu verbringen.
4) Welche Persönlichkeit würden Sie gerne näher kennenlernen?
Ich habe mich das anlässlich der Lektüre der bisher im BFGjournal erschienenen Interviews (die ich als Leserin natürlich regelmäßig mitverfolge) schon öfters gefragt und festgestellt, dass ich da in Bezug auf allgemein bekannte Persönlichkeiten keine besonderen Vorstellungen oder Bedürfnisse habe. Gerne hätte ich allerdings meine Großväter kennengelernt, die beide bereits vor meiner Geburt verstorben sind.
5) Nach der Arbeit …
… steht für einige Stunden die Familie im Vordergrund, bevor es mich bis kurz vor Mitternacht zurück an den Computer oder den Laptop zieht.
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