Mit dem „Digitale Dienste-Paket“ hat die EU sich einer umfassenden Regulierung der digitalen Wirtschaft verschrieben. Der Digital Markets Act („DMA“) als wesentlicher Bestandteil des Pakets schafft neue Verhaltensregeln für große Tech-Unternehmen, die mit ihren Plattformdiensten als Gatekeeper digitale Märkte bislang dominiert haben. Damit sollen faire Bedingungen für kleinere Unternehmen im Wettbewerb mit Big Tech geschaffen werden.
Die Zielsetzung des DMA
Digitale Geschäftsmodelle, seien es Social Media-Plattformen, Smartphone-Ökosysteme oder der Online-Handel, funktionieren zuweilen nach dem Prinzip „The winner takes it all“. Die im digitalen Bereich besonders ausgeprägten Netzwerk- und Lock-In-Effekte sowie Größen- und Datenvorteile haben Tech-Unternehmen in den letzten Jahren ein rasantes Wachstum und die rasche Ausdehnung des Geschäfts auf immer neue Bereiche ermöglicht. Angesichts dessen war nach Meinung der Europäischen Kommission die bestehende kartellrechtliche Ex-Post-Verhaltenskontrolle (Art 101 und 102 AEUV) nicht mehr ausreichend bzw. im Einzelfall zu schwergängig, um faire Wettbewerbsbedingungen und Bestreitbarkeit auf den digitalen Märkten sicherzustellen. Daher wurde mit dem DMA eine spezifische Ex-Ante-Regulierung für digitale Gatekeeper geschaffen. Daneben bleibt das Kartellrecht anwendbar.
Die Adressaten des DMA
Der DMA richtet sich an digitale Gatekeeper. Dies sind Unternehmen, die Plattformdienste (wie z.B. Online-Vermittlungsportale, Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Kommunikationsdienste, Betriebssysteme oder Online-Werbedienste) anbieten und damit geschäftlichen Nutzern als wichtiges Zugangstor zu Endnutzern dienen. Für die Gatekeeper-Eigenschaft wird auf Größenmerkmale abgestellt, insbesondere:
Ein Jahresumsatz von mindestens EUR 7,5 Mrd. in jedem der letzten drei Jahre bzw. eine Marktkapitalisierung von mindestens EUR 75 Mrd. sowie ein Betrieb des Plattformdienstes in zumindest drei Mitgliedstaaten; sowie
Mindestens 45 Mio. monatlich aktive Endnutzer und 10.000 jährlich aktive geschäftliche Nutzer des Plattformdienstes in der EU.
Erfüllt ein Unternehmen mit einem seiner Plattformdienste alle Kriterien, so hat es dies der Europäischen Kommission mitzuteilen. Die Kommission entscheidet dann förmlich über die Benennung des Unternehmens als Gatekeeper. Eine solche Benennung kann auch dann erfolgen, wenn nicht alle Größenkriterien erfüllt sind.
Die Verhaltenspflichten
Der DMA enthält einen Katalog positiver und negativer Verhaltenspflichten, die Gatekeeper nach erfolgter Benennung und Verstreichen einer Übergangsfrist zu befolgen haben. Die Regeln umfassen insbesondere Folgendes:
Geschäftliche Nutzer eines Plattformdienstes dürfen nicht daran gehindert werden, Endnutzern ihre Produkte oder Dienstleistungen über andere Online-Plattformen oder eigene Vertriebskanäle zu anderen Preisen oder Bedingungen anzubieten.
Geschäftliche Nutzer und Endnutzer dürfen nicht zur Verwendung eines Identifizierungsdienstes, Zahlungsdienstes oder einer Browser-Engine des Gatekeepers im Zusammenhang mit der Nutzung seiner Plattformdienste verpflichtet werden (z.B. von Social Media angebotenes Single Sign-on).
Die Nutzung eines Plattformdienstes des Gatekeepers darf nicht von der Verwendung eines weiteren seiner Plattformdienste abhängig gemacht werden.
Endnutzer müssen die Möglichkeit haben, über die Plattformdienste des Gatekeepers mittels Software von Drittanbietern auf Inhalte und Funktionen zuzugreifen, auch wenn diese direkt beim Drittanbieter erworben wurden (z.B. In-App-Käufe).
Bei Erbringung von Online-Werbediensten hat der Gatekeeper den Werbetreibenden und den Herausgebern täglich kostenlos Auskunft über die betreffenden Anzeigen zu geben (Preise und Gebühren, Vergütungen, Kalkulationsgrundlagen).
Beschränkungen gelten auch hinsichtlich der Nutzung personenbezogener Daten von Endnutzern. Ohne Einwilligung des Endnutzers (im Sinne der DSGVO) darf der Gatekeeper
Daten von Endnutzern, die Drittanbieterdienste nutzen, welche die Plattformdienste des Gatekeepers in Anspruch nehmen, nicht für Online-Werbezwecke verarbeiten;
Daten aus dem betreffenden Plattformdienst nicht mit Daten aus anderen Diensten des Gatekeepers oder Diensten Dritter zusammenführen und nicht in anderen Diensten weiterverwenden;
Endnutzer nicht in anderen Diensten anmelden, um Daten zusammenzuführen.
Daneben gibt es weitere Verhaltenspflichten, hinsichtlich derer die Kommission dem Gatekeeper individuelle Maßnahmen vorschreiben kann. Dazu zählen z.B.:
Endnutzer müssen die Möglichkeit haben, Software-Anwendungen auf dem Betriebssystem des Torwächters einfach zu deinstallieren.
Bei der erstmaligen Nutzung eines Web-Browsers, einer Suchmaschine oder eines virtuellen Assistenten des Gatekeepers muss der Endnutzer die Möglichkeit zur Auswahl eines alternativen Dienstes als Standard haben.
Vom Gatekeeper erstellte Rankings müssen transparent, fair und diskriminierungsfrei sein. Eigene Angebote des Gatekeepers dürfen gegenüber der Konkurrenz nicht bevorzugt werden.
Der Gatekeeper hat Hardware- und Dienste-Anbietern kostenlos Interoperabilität zu den über sein Betriebssystem oder seinen virtuellen Assistenten gesteuerten Hard- und Software-Funktionen zu ermöglichen.
Der Gatekeeper gewährt geschäftlichen Nutzern Zugang zu seinen App-Stores, Suchmaschinen und sozialen Netzwerken unter fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen. Drittanbietern von Suchmaschinen hat der Gatekeeper unter eben solchen Bedingungen auf Antrag hin Zugang zu Ranking-, Anfrage-, Klick- und Ansichtsdaten seiner Suchmaschine zu gewähren.
Hinsichtlich der Erbringung von Kommunikationsdiensten (Messaging Apps) hat der Gatekeeper für die Interoperabilität der grundlegenden Funktionen seines Dienstes mit den Diensten anderer Anbieter zu sorgen und die erforderlichen Schnittstellen auf Antrag bereitzustellen. Dabei gilt eine zeitliche Staffelung: Zunächst sind Text- und Sprachnachrichten sowie der Austausch von Bildern, Videos und anderen Dateien zwischen zwei einzelnen Endnutzern zu ermöglichen. Binnen zwei Jahren nach der Benennung ist für die Interoperabilität von Gruppenchat-Funktionen zu sorgen und spätestens nach vier Jahren müssen Sprach- und Videoanrufe ermöglicht werden.
Überwachung und Sanktionen
Die Kommission erhält umfassende Befugnisse zur Überwachung der Einhaltung der Verhaltensregeln durch die Gatekeeper und zur Abstellung und Sanktionierung von Verstößen. Sie kann Geldbußen von bis zu 10 % des Jahresumsatzes des betroffenen Gatekeepers verhängen (bzw. 20 % im Wiederholungsfall). Bei systematischer Nichteinhaltung der Verhaltenspflichten durch einen Gatekeeper (mindestens drei Verstöße binnen acht Jahren) kann die Kommission weitere – auch strukturelle – Abhilfemaßnahmen verhängen.
Außerdem werden Gatekeeper verpflichtet, die Kommission über jeden geplanten Unternehmenszusammenschluss – unabhängig vom Bestehen einer fusionskontrollrechtlichen Anmeldepflicht – zu informieren, wenn das Zielunternehmen Plattformdienste oder sonstige Dienste im digitalen Sektor erbringt oder die Erhebung von Daten ermöglicht. Die Kommission unterrichtet darüber die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden, die wiederum auf Grundlage der erhaltenen Informationen einen Verweisungsantrag nach Art. 22 der Fusionskontrollverordnung an die Kommission zur Prüfung des Zusammenschlusses stellen können. Eine solche Verweisung ist auch ohne Bestehen einer Anmeldepflicht nach mitgliedstaatlichem Recht zulässig, wie das Gericht der Europäischen Union unlängst in der Sache Illumina / Grail (T-227/21) festgestellt hat. Es ist das erklärte Ziel der Kommission, mithilfe des Verweisungsmechanismus gegen sogenannte Killer-Akquisitionen durch große Tech-Unternehmen vorzugehen, bei denen innovative Start-ups, häufig noch ohne nennenswerte Umsätze, aufgekauft werden, um künftigen Wettbewerb zu unterbinden.
Zeitplan und Ausblick
Der DMA wurde am 12. Oktober 2022 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Er tritt am 1. November 2022 in Kraft, die meisten Bestimmungen gelten aber erst ab 2. Mai 2023. Dann werden die Benennungsverfahren durch die Kommission beginnen und spätestens sechs Monate nach erfolgter Benennung haben die Gatekeeper ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Volle Wirksamkeit wird der DMA somit Anfang 2024 entfalten. Die Zeit bis dahin sollten alle Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen mit großen Tech-Konzernen haben oder auf deren Plattformdienste angewiesen sind, nutzen, um Geschäftschancen für sich zu identifizieren, die sich aus dem DMA ergeben werden.
Der Digital Markets Act der EU – Ein Überblick
Mit dem „Digitale Dienste-Paket“ hat die EU sich einer umfassenden Regulierung der digitalen Wirtschaft verschrieben. Der Digital Markets Act („DMA“) als wesentlicher Bestandteil des Pakets schafft neue Verhaltensregeln für große Tech-Unternehmen, die mit ihren Plattformdiensten als Gatekeeper digitale Märkte bislang dominiert haben. Damit sollen faire Bedingungen für kleinere Unternehmen im Wettbewerb mit Big Tech geschaffen werden.
Die Zielsetzung des DMA
Digitale Geschäftsmodelle, seien es Social Media-Plattformen, Smartphone-Ökosysteme oder der Online-Handel, funktionieren zuweilen nach dem Prinzip „The winner takes it all“. Die im digitalen Bereich besonders ausgeprägten Netzwerk- und Lock-In-Effekte sowie Größen- und Datenvorteile haben Tech-Unternehmen in den letzten Jahren ein rasantes Wachstum und die rasche Ausdehnung des Geschäfts auf immer neue Bereiche ermöglicht. Angesichts dessen war nach Meinung der Europäischen Kommission die bestehende kartellrechtliche Ex-Post-Verhaltenskontrolle (Art 101 und 102 AEUV) nicht mehr ausreichend bzw. im Einzelfall zu schwergängig, um faire Wettbewerbsbedingungen und Bestreitbarkeit auf den digitalen Märkten sicherzustellen. Daher wurde mit dem DMA eine spezifische Ex-Ante-Regulierung für digitale Gatekeeper geschaffen. Daneben bleibt das Kartellrecht anwendbar.
Die Adressaten des DMA
Der DMA richtet sich an digitale Gatekeeper. Dies sind Unternehmen, die Plattformdienste (wie z.B. Online-Vermittlungsportale, Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Kommunikationsdienste, Betriebssysteme oder Online-Werbedienste) anbieten und damit geschäftlichen Nutzern als wichtiges Zugangstor zu Endnutzern dienen. Für die Gatekeeper-Eigenschaft wird auf Größenmerkmale abgestellt, insbesondere:
Erfüllt ein Unternehmen mit einem seiner Plattformdienste alle Kriterien, so hat es dies der Europäischen Kommission mitzuteilen. Die Kommission entscheidet dann förmlich über die Benennung des Unternehmens als Gatekeeper. Eine solche Benennung kann auch dann erfolgen, wenn nicht alle Größenkriterien erfüllt sind.
Die Verhaltenspflichten
Der DMA enthält einen Katalog positiver und negativer Verhaltenspflichten, die Gatekeeper nach erfolgter Benennung und Verstreichen einer Übergangsfrist zu befolgen haben. Die Regeln umfassen insbesondere Folgendes:
Daneben gibt es weitere Verhaltenspflichten, hinsichtlich derer die Kommission dem Gatekeeper individuelle Maßnahmen vorschreiben kann. Dazu zählen z.B.:
Überwachung und Sanktionen
Die Kommission erhält umfassende Befugnisse zur Überwachung der Einhaltung der Verhaltensregeln durch die Gatekeeper und zur Abstellung und Sanktionierung von Verstößen. Sie kann Geldbußen von bis zu 10 % des Jahresumsatzes des betroffenen Gatekeepers verhängen (bzw. 20 % im Wiederholungsfall). Bei systematischer Nichteinhaltung der Verhaltenspflichten durch einen Gatekeeper (mindestens drei Verstöße binnen acht Jahren) kann die Kommission weitere – auch strukturelle – Abhilfemaßnahmen verhängen.
Außerdem werden Gatekeeper verpflichtet, die Kommission über jeden geplanten Unternehmenszusammenschluss – unabhängig vom Bestehen einer fusionskontrollrechtlichen Anmeldepflicht – zu informieren, wenn das Zielunternehmen Plattformdienste oder sonstige Dienste im digitalen Sektor erbringt oder die Erhebung von Daten ermöglicht. Die Kommission unterrichtet darüber die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden, die wiederum auf Grundlage der erhaltenen Informationen einen Verweisungsantrag nach Art. 22 der Fusionskontrollverordnung an die Kommission zur Prüfung des Zusammenschlusses stellen können. Eine solche Verweisung ist auch ohne Bestehen einer Anmeldepflicht nach mitgliedstaatlichem Recht zulässig, wie das Gericht der Europäischen Union unlängst in der Sache Illumina / Grail (T-227/21) festgestellt hat. Es ist das erklärte Ziel der Kommission, mithilfe des Verweisungsmechanismus gegen sogenannte Killer-Akquisitionen durch große Tech-Unternehmen vorzugehen, bei denen innovative Start-ups, häufig noch ohne nennenswerte Umsätze, aufgekauft werden, um künftigen Wettbewerb zu unterbinden.
Zeitplan und Ausblick
Der DMA wurde am 12. Oktober 2022 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Er tritt am 1. November 2022 in Kraft, die meisten Bestimmungen gelten aber erst ab 2. Mai 2023. Dann werden die Benennungsverfahren durch die Kommission beginnen und spätestens sechs Monate nach erfolgter Benennung haben die Gatekeeper ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Volle Wirksamkeit wird der DMA somit Anfang 2024 entfalten. Die Zeit bis dahin sollten alle Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen mit großen Tech-Konzernen haben oder auf deren Plattformdienste angewiesen sind, nutzen, um Geschäftschancen für sich zu identifizieren, die sich aus dem DMA ergeben werden.
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Mag. David Konrath, LL.M.
Rechtsanwalt bei EY Law
david.konrath@eylaw.at