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OGH: Freiheitsersitzung auch bei einem nicht verbücherten Wegerecht möglich

(Bild: © iStock/Andreas Nesslinger) (Bild: © iStock/Andreas Nesslinger)

Entscheidung: OGH 24. 1. 2020, 8 Ob 124/19x.
Norm: § 1488 ABGB.

Die Anwendung der Freiheitsersitzung auf den Fall einer vertraglich eingeräumten, aber nicht im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeit widerspricht zwar dem Gedanken, dass § 1488 ABGB grundsätzlich nur dingliche Servituten vor Augen hat, vermeidet aber den Wertungswiderspruch, dass ansonsten eine nicht intabulierte und damit bloß obligatorisch wirkende Servitut eine höhere Bestandskraft hätte als eine im Grundbuch eingetragene und daher sogar dinglich wirkende.

Die Kläger sind als Erben ihres 2007 verstorbenen Vaters jeweils zu einem Anteil von einem Drittel Miteigentümer eines unbebauten Grundstücks. Der Beklagte ist Alleineigentümer des östlich angrenzenden Grundstücks. Zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt wandte sich der Vater der Kläger an seinen Neffen, den Beklagten, und gab an, dass er die Errichtung eines Blockhauses auf seinem Grundstück plane. In diesem Zusammenhang sagte der Beklagte seinem Onkel zu, zur Realisierung von dessen Bauvorhaben eine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens in Form eines drei Meter breiten Geh- und Fahrwegs im Süden seines Grundstücks einzuräumen. Zu einer Verschriftlichung bzw Verbücherung dieses Geh- und Fahrrechts kam es nicht, da der Vater der Kläger in weiterer Folge von seinem Bauvorhaben Abstand nahm. Als der Beklagte in den 1990er-Jahren sein Grundstück bebaute errichtete er auch zwei Mauern, die 15 bzw 25 cm in die ursprünglich geplante Wegtrasse hineinragten. Auf der zweiten Mauer errichtete er am Ende der Bauphase an der südwestlichen Grundgrenze einen Holzzaun mit drei Querlatten, sodass eine ungehinderte Durchfahrt bzw ein ungehinderter Durchgang auf der ursprünglich vorgesehenen Dienstbarkeitsfläche nicht mehr gegeben war.

Die Vorinstanzen wiesen die Servitutsklage ab.

Der OGH gab der ordentlichen Revision der Kläger nicht Folge. Er führte unter anderem aus:

Das dingliche Recht der Dienstbarkeit wird grundsätzlich nur durch Eintragung im Grundbuch erworben. Vertragliche, aber nicht verbücherte, inhaltlich einer Servitut entsprechende Rechte wirken aber immerhin zwischen den Vertragsparteien. Im vorliegenden Fall war es der Beklagte selbst, der zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt dem damaligen Eigentümer der Nachbarliegenschaft und Rechtsvorgänger der Kläger zusagte, zur Realisierung von dessen Bauvorhaben eine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens in Form eines drei Meter breiten Geh- und Fahrwegs im Süden des Grundstücks einzuräumen.

Nach § 1488 ABGB verjährt das Recht der Dienstbarkeit durch den Nichtgebrauch, wenn sich der verpflichtete Teil der Ausübung der Servitut widersetzt und der Berechtigte durch drei aufeinander folgende Jahre sein Recht nicht geltend macht. Bei dieser sogenannten Freiheitsersitzung (usucapio libertatis) handelt es sich um einen Fall der Verjährung einer bestehenden Dienstbarkeit. Da es sich um einen Verjährungstatbestand handelt, ist auf der Seite des sich Widersetzenden weder Redlichkeit noch Rechtmäßigkeit erforderlich. Die kurze Verjährung des § 1488 ABGB hat vor allem den Zweck, die rasche Klärung einer strittigen Rechtslage herbeizuführen. Ob ein vom Verpflichteten nicht (mehr) geduldetes Servitutsrecht besteht oder nicht, soll im Interesse der Beteiligten, aber auch der Verkehrssicherheit möglichst schnell gerichtlich geklärt werden.

Die Freiheitsersitzung ist auch dann möglich, wenn der Berechtigte die Dienstbarkeit bisher nicht ausgeübt hat, aber die Ausübung nach dem Lauf der Dinge möglich gewesen wäre. Sie wurde auch bereits in einem Fall einer vertraglich eingeräumten, aber nicht im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeit bejaht. Dies widerspricht zwar dem Gedanken, dass § 1488 ABGB grundsätzlich nur dingliche Servituten vor Augen hat, vermeidet aber den Wertungswiderspruch, dass ansonsten eine nicht intabulierte und damit bloß obligatorisch wirkende Servitut eine höhere Bestandskraft hätte als eine im Grundbuch eingetragene und daher sogar dinglich wirkende. Auf vertragliche, jedoch noch unverbücherte Servituten ist § 1488 ABGB somit im Wege der Analogie anwendbar.

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