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OGH: Keine Erbunwürdigkeit bei Rücktritt vom Versuch einer strafbaren Handlung

(Bild: © iStock/dstaerk)

Entscheidung: OGH 24. 4. 2020, 2 Ob 100/19y.
Norm: § 539 ABGB idF ErbRÄG 2015.


Der OGH stellt klar, dass der vom Gesetzgeber zur Begründung der Erbunwürdigkeit verwendete Begriff einer „strafbaren Handlung“ aus systematischen Gründen im Sinne seines ursprünglichen Anwendungsbereichs im Strafrecht zu verstehen ist. Der strafbefreiende Rücktritt vom Versuch schließt daher die Annahme von Erbunwürdigkeit aus.

Der Erblasser hatte mit letztwilliger Verfügung seine Tochter (Beklagte) zur Alleinerbin bestimmt und angeordnet, dass seiner Lebensgefährtin (Klägerin) bis zu ihrem Lebensende das uneingeschränkte Wohnrecht auf seiner Liegenschaft zukommen solle. Die Klägerin fand nach dem Tod des Erblassers in dessen Unterlagen eine auf Überbringer lautende Versicherungspolizze vor. Sie begab sich zur Bank, um unter Vorlage dieser Polizze die Versicherungssumme zu lukrieren. Die Klägerin stand unmittelbar vor der Unterschriftsleistung zur Realisierung der Versicherung als sich herausstellte, dass sie noch an Eides statt bestätigen müsse, die Versicherungspolizze bereits zu Lebzeiten vom Versicherungsnehmer übertragen erhalten zu haben. Darauf nahm die Klägerin von ihrem Vorhaben Abstand und händigte einige Tage später der Beklagten die Versicherungspolizze aus. Diese weigerte sich in der Folge, das Vermächtnis zu erfüllen. Sie hielt der Vermächtnisklage entgegen, die Klägerin habe wegen versuchten schweren Betrugs zum Nachteil der Verlassenschaft den Tatbestand der Erbunwürdigkeit erfüllt.

Das Erstgericht folgte diesem Argument der Beklagten. Das Berufungsgericht hielt es hingegen nicht für angemessen, den Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch nur im Strafverfahren, nicht aber auch bei Beurteilung der Erbunwürdigkeit zu berücksichtigen.

Der OGH beurteilte das Verhalten der Klägerin zunächst strafrechtlich dahin, dass die Klägerin freiwillig vom Versuch einer strafbaren Handlung zurückgetreten ist. Bei der weiteren Prüfung, ob auf der Grundlage dieser Beurteilung der Tatbestand der Erbunwürdigkeit erfüllt sei, stellte er klar, dass die vom Gesetzgeber verwendeten Begriffe wie in ihrem ursprünglichen Anwendungsbereich zu verstehen sind. Da der zivilrechtliche Tatbestand an die Begehung einer „gerichtlich strafbaren Handlung“ anknüpft, ist zu deren Vorliegen neben tatbestandsmäßiger Rechtswidrigkeit und Verschulden des Täters auch das Fehlen von Strafausschließungsgründen und Strafaufhebungsgründen erforderlich. Der Senat gelangte daher zu dem Ergebnis, dass ein strafbefreiender Rücktritt von einer versuchten strafbaren Handlung der Annahme von Erbunwürdigkeit entgegensteht.

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